Unterwegs mit Napoleon – Warum eine Eselwanderung Läufer weiterbringt

Esel sind stur, langsam und ein bisschen dumm – das ist ein Bild, das viele Menschen von den Langohren haben. Auch ich hatte nie das Bedürfnis, mit ihnen durch die Wälder zu streifen. Was wir von diesen Tieren lernen können und warum schon ein paar Stunden mit ihnen vor allem leistungsgetriebenen Sportlern etwas Gutes tun, erfahrt ihr hier.

mit-eseln-wandern-tabitha-und-napoleon

Warum mit Eseln wandern?

Mit einem Esel durch die Felder zu wandern und dafür auch noch Geld zu bezahlen, erschien mir als eine nette Aktion für einen Kindergeburtstag – aber nicht als eine Beschäftigung für vielbeschäftigte Erwachsene. Ich bin im Leben wie im Sport lieber schnell und effizient unterwegs und halte Spaziergänge eher für eine sinnvolle Beschäftigung im höheren Alter, wenn das Laufen mal nicht mehr geht. Ich hatte jedenfalls nie die Sehnsucht, mit einem Esel wandern zu gehen. Aber da sich meine Schwester seit Jahren für sie begeistert, schenkte ich ihr zum Geburtstag eine Eselwanderung.

Als ich einem Freund am Telefon erzählte, dass ich eine Eselwanderung plane, lachte er und fragte: „Meinst du damit die Tiere oder die Menschen? Ich hätte da einige Typen, die ich dir gerne für eine solche Wanderung ausleihen würde…!“

Esel haben den Ruf, dumm, träge und störrisch zu sein. „Du Esel“ ist schließlich nicht gerade ein Kompliment. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus.

mit-eseln-wandern-tagestour

Was ist so besonders an Eseln?

„Ein Esel braucht nur ein paar Sekunden, um dich zu durchschauen und sich ein Bild von dir zu machen,“ sagt die Besitzerin und führt uns zu ihren fünf Tieren. Eseln wird nicht nur von ihr eine gute Menschenkenntnis nachgesagt, sie sind zudem stur im besten Sinne: „Wenn sie etwas nicht gut finden oder jemanden nicht mögen, dann verstellen sie sich nicht, sondern bringen das klar zum Ausdruck und lassen sich auch nicht bestechen.“

Ich stehe vor „Napoleon“, einem herrlich zotteligen grauen Esel. Er hat treue Augen und einen guten Appetit. Ich mag ihn sofort, da er „einen starken Charakter“ haben soll.

Wir fragen, ob wir bei der Eselwanderung auf irgendetwas achten müssen. Besitzerin Britta erklärt, dass die Esel nicht gern allein unterwegs sind. „Sie lieben Gemeinschaft. Wenn ein Esel zurückbleibt oder schwach ist, dann würden sie sich nie im Stich lassen. Sie laufen hintereinander her und kommunizieren mit den Ohren. Sie sind nicht wie Pferde, die bei einer potenziellen Gefahr losstürmen und fliehen. Esel bleiben stehen, spitzen die Ohren, schätzen erstmal die Lage ein und entscheiden dann, wie sie reagieren.“ Das Zögern der Tiere wird leider oft als Sturheit und Dummheit missverstanden.

Mit ihren Augen, Ohren und ihrer Nase können Esel einen möglichen Feind schon von weitem bemerken. Sie haben fast eine komplette Rundumsicht durch die seitliche Position ihrer Augen und sie hören sehr gut – was als Frühwarnsystem bei Gefahren dient. Daher bleiben sie auch öfter mal stehen, hören genau hin – und entscheiden dann, wie sie damit umgehen.

Auch Napoleon bleibt immer wieder stehen und dreht die Ohren zu allen Seiten. Mal, weil in der Ferne ein Trecker fährt, Pferde auf eine Weide gelassen werden oder eine Gruppe von Bauern ein Kalb jagt, dass sich dummerweise von seiner Mutter und der Herde getrennt hat und nicht nach Hause will.

Unsere Esel stehen einfach da, schauen zu und lassen sich nicht bewegen, auch nur einen Schritt zu tun. Die Bauern bitten uns, weiterzugehen, damit das Kalb nicht durch die Esel zusätzlich verwirrt wird, aber unsere Esel sind bei allem Kraftaufwand, den wir betreiben, nicht von der Stelle zu rühren. Sie warten, bis die Situation ihrer Meinung nach geklärt ist, dann gehen sie von allein weiter.

Ein anderes Mal rennt Napoleon wie verrückt los und ich habe Mühe mitzukommen. Er scheint bei mir auch jede Unsicherheit zu spüren, sobald ich mein Selbstbewusstsein ansatzweise verliere oder an meinen Eselführungsqualitäten zweifle, nutzt er das schamlos aus und macht einen Satz, um doch einen Büschel Gras zu erhaschen oder zwickt mich in den Arm.

mit-esel-wandern-tabitha-im-maisfeld

Kontrolle abgeben und Langsamkeit schätzen lernen

Wenn du mit einem Esel unterwegs bist, musst du dein Gepäck nicht selbst schleppen, ein Esel ist bekanntermaßen ein Tier, das Lasten tragen kann. Doch du kannst ihm nicht vorschreiben, wie schnell er gehen soll. Ein Esel übernimmt die Kontrolle übers Tempo. Er kann sehr lange gehen, er kann auch richtig rennen, aber er macht es so, wie er will. Und manchmal bedeutet das: Zeitlupen-Training. An meine Versuche, den Esel vom Fressen abzuhalten, erinnert mich am nächsten Tagen ein Muskelkater.

Was mir besonders an Eseln gefällt, ist ihr Beschützerinstinkt. Nicht mal vor Raubtieren haben sie Angst. Deshalb sieht man sie auch öfter zusammen mit einer Herde von Ziegen oder Schafen. Hat sich ein Esel erst einmal mit den Tieren angefreundet, verteidigt er sie vor Feinden. Werden seine Freunde bedroht, dann kommt es vor, dass er seine Zähne fletscht, laut schreit und auf die Bedrohung zu rennt, gezielte Schläge mit den Hinterbeinen verteilt und kräftig zubeißt.

„Esel sind alles andere als feige. Ich kannte einen Esel, der hat sich mit einem Wolf angelegt, als eine Schafherde, die für den Esel wie seine Familie war, angegriffen wurde. Dieser Esel ist auf den Wolf zu gerannt, statt wegzulaufen“, berichtet Britta.

Esel sind tapfer, treu und halten viel aus.

Was mich sofort begeistert sind neben den herrlich süßen Ohren die Ruhe und Gelassenheit, die die beiden Esel ausstrahlen. Es ist wie eine Entschleunigungs-Kur. Man spaziert mit seinem Esel durch die Welt und hat – anders als beim Laufen – mal Zeit, sich alles genau anzuschauen. Die kleinen Wunder der Natur wahrzunehmen, sich die Farben des Maisfeldes mal genauer vor Augen zu führen, die Vögelchen und Blümchen am Wegesrand zu beobachten. Den Himmel mit seinen Wolkenbildern.

Da es gemächlichen Schrittes über die Feldwege geht, wird auch die Geschwindigkeit der Gedanken gebremst. Es ist ein Training zur Langsamkeit. Zwischendurch machen wir ein Picknick. Ich versuche mit Napoleon ein Wettrennen zu machen, was erst funktioniert, als er die Chance entdeckt, mit mir ins Maisfeld zu jagen, um sich dort den Bauch vollzuschlagen.

Die Esel sind intelligent und zugleich gutmütig. Sie sind gesellig, zuverlässig und treu, gelten als genügsam, gelassen und ausdauernd. Sie sind sehr freundschaftsfähig, leiden mit, helfen sich beim Sterben, indem sie nicht von der Seite weichen, und teilen sich ihr Futter mit Artgenossen.

Sie zählen zu den ältesten Haustieren des Menschen und wurden lange Zeit als Last- oder Reittier eingesetzt.

„Außerdem sind sie nicht wie Pferde, die alles fressen. Esel wissen genau, was ihnen guttut. Sie würden nie etwas in den Mund nehmen, was in irgendeiner Weise giftig oder verdorben oder für ihre Mägen einfach nicht gut ist“, erzählt uns die Eselbesitzerin.

mit-eseln-wandern-zwei-esel-im-stall

Wie läuft eine Eselwanderung ab?

Es gibt natürlich ganz unterschiedliche Möglichkeiten mit Eseln zu wandern:

Tagestouren mit Führung, Wanderungen über mehrere Tage mit Übernachtungen, manche Anbieter veranstalten auch ganze Wochenwanderungen. Wir haben uns für eine Ein-Tages-Tour entschieden, wo wir mit den beiden Eseln einen Rundweg gehen durften. Die Besitzerin hat uns gebrieft und ist die ersten zwei Kilometer mit uns gegangen, bis wir uns sicher gefühlt haben.

Anschließend durften wir unseren Spaziergang allein fortführen. Nur mit einer Karte ausgestattet, hatte das Ganze dann noch etwas abenteuerliches – ganz ohne Google Maps, sondern wie früher mit einer eingeschweißten Wegbeschreibung.

8 Dinge, die ich von Napoleon lernen durfte

Die Esel haben viel Ausdauer. Wenn man sie trainiert, kann man auch mit den Eseln Joggen gehen. Aber für mich war die gemütliche Wanderung genau richtig, um dem Stress des Alltags, dem Leistungsdruck und „Schneller, weiter, höher“ mal etwas entgegenzusetzen.

Wenn man einen ungeduldigen Charakter hat, sich über seine Leistung definiert, nicht gerne Pausen macht und im Alltag eher nicht dazu kommt, sich zu entschleunigen, dann kann man von Eseln unheimlich viel lernen:

  1. Das eigene Tempo abzugeben und sich auf die Kunst Langsamkeit einzulassen
  2. Sich erst mal ein Bild von der Situation zu machen, statt voreilig zu entscheiden und impulsiv zu reagieren
  3. Immer einen Blick dafür zu haben, wie es meinen Freunden geht und auf sie zu warten, die zweite Meile mit ihnen zu gehen, Rücksicht zu nehmen
  4. Geduldig zu sein
  5. Freude am Essen 😊
  6. Mutig zu sein, wenn alle anderen zur Feigheit neigen
  7. Ausdauer und Leidensfähigkeit bei langen, harten Wegstrecken
  8. Zuverlässigkeit und Treue in Freundschaften

Ich werde die Eselwanderung auf jeden Fall wiederholen!

0