Barfußlaufen & Natural Running – sinnvoll oder riskant?
Wenn die Temperaturen steigen, wird nicht nur die Kleidung luftiger – auch beim Schuhwerk setzen viele auf weniger statt mehr. Immer mehr Läufer steigen im Sommer auf sogenannte Minimalschuhe um oder wagen sich sogar an das Laufen ohne Schuhe. Natural Running verspricht ein ursprünglicheres Laufgefühl, mehr Achtsamkeit, weniger Technik – und gilt vielen als gesunde Rückkehr zu unseren Wurzeln. Aber ist das wirklich so gesund, wie es klingt? Dazu Dr. Ulrich Bader, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in der OrthoPraxis in Gräfelfing.
Minimalschuhe – Ist Barfußlaufen sinnvoll oder riskant?
„Barfußlaufen ist ein Trend, der in regelmäßigen Abständen wiederkehrt“, sagt Dr. Ulrich Bader, Orthopäde und erfahrener Laufexperte. Schon in den 1990er-Jahren gab es erste Versuche, Laufschuhe radikal zu vereinfachen. „Die Idee, den Fuß ohne Unterstützung arbeiten zu lassen, ist prinzipiell nicht falsch – aber sie ist auch nicht für jeden geeignet.“
Weniger Schuh – mehr Belastung
Denn was viele unterschätzen: Das Laufen mit minimalem oder gar keinem Schuh stellt an den Körper ganz neue Anforderungen. Denn normalerweise dämpft der Schuh die Stoßbelastung, die bei jedem Schritt entsteht. Die Belastung auf die Gelenke ist somit beim Barfußlaufen und Natural Running größer. „Viele Muskelgruppen, die sonst entlastet werden, müssen plötzlich mehr leisten – das ist für den Fuß eine enorme Umstellung“, erklärt Dr. Bader.
Diese veränderte Belastung ist beim Barfußlaufen und Natural Running ausdrücklich gewollt: „Wenn man den Fuß anders belastet, werden die Muskulatur sowie Sehnen und Bänder ein bisschen besser, ein bisschen natürlicher trainiert“, sagt Dr. Bader. Strukturen, die sonst ruhiggestellt sind, kommen in Bewegung: „Unsere Füße bestehen aus 33 Gelenken, viele davon werden in herkömmlichen Laufschuhen ruhiggestellt. Natural Running verspricht, diese Strukturen wieder zu aktivieren.“
Typische Beschwerden beim zu schnellen Wechsel
Doch gerade beim zu schnellen Umstieg kann es zu Problemen kommen: „Wir sehen bei Natural-Running-Einsteigern gehäuft Ermüdungsbrüche im Mittelfußbereich, Reizungen der Achillessehne oder der Plantarfaszie. Selbst erfahrene Läufer sind davor nicht gefeit“, so der Orthopäde. Das Risiko betrifft nicht nur die Füße. Auch Knie, Hüfte und selbst die Wirbelsäule können unter der fehlenden Dämpfung leiden. „Durch die direkte Kraftübertragung ohne Puffer steigen die Stoßbelastungen – vor allem beim Laufen auf hartem Untergrund.“
Verletzungsgefahr: Barfuß ist nicht harmlos
Ein weiteres Problem ist das Barfußlaufen ohne jeglichen Schutz. Was auf Waldboden oder Sand angenehm sein kann, wird auf Asphalt schnell zur Verletzungsfalle. „Schon eine kleine Schnittwunde an der Fußsohle kann das Training für Wochen stoppen“, warnt Dr. Bader.
Nicht jeder Fuß ist geeignet
Fakt ist: Nicht jeder Fuß ist für den Trend geeignet. Wer eine Fehlstellung mitbringt – etwa Knick-, Senk- oder Spreizfüße – sollte vorsichtig sein. Auch Menschen mit Übergewicht, Fersensporn, Achillessehnenproblemen oder insbesondere Diabetes sollten vom Natural Running Abstand nehmen. Gerade Diabetiker haben oft ein vermindertes Schmerzempfinden und eine schlechtere Wundheilung – das macht selbst kleine Verletzungen gefährlich.
Gesunde Füße? Dann langsam herantasten!
„Für gesunde Füße ist es eine interessante Ergänzung im Trainingsplan – nicht als Ersatz, sondern als gezielte Reizveränderung“, betont Dr. Bader. Wer vorsichtig beginnt, kann Muskulatur und Koordination stärken und Verletzungen sogar vorbeugen. Wie ein sinnvoller Einstieg aussehen kann, erklärt Dr. Bader so:
- Langsam starten:Zuerst wie gewohnt in klassischen Laufschuhen laufen, am Ende 1–2 km mit Minimalschuhen anschließen.
- Weicher, ebener Untergrund:Ideal sind Waldboden, Wiesen oder Sand – also Untergründe, die leicht nachgeben und Stöße abfedern.
- Keine Steigungen oder Bergläufe:Für den Einstieg eignen sich flache Strecken, auf denen man Tempo und Technik besser kontrollieren kann.
Fazit: Der Mittelweg ist der beste
Am Ende gilt: Weder das eine Extrem noch das andere ist ideal. „Stark gedämpfte Schuhe nehmen dem Fuß Arbeit ab – aber sie schützen ihn auch. Minimalschuhe fördern die Muskulatur – doch sie können viele Füße auch überfordern“, sagt Dr. Bader. Seine Empfehlung lautet daher: abwechseln.
Natural Running als Trainingsreiz – ja. Ausschließlich darin laufen – eher nicht.
„Gerade bei langen Distanzen oder hohem Trainingsumfang ist der Wechsel zwischen klassischem Schuhwerk und Minimalschuhen orthopädisch oft die bessere Wahl“, so sein Fazit.
Unser Experte: Dr. Ulrich Bader ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in der OrthoPraxis in Gräfelfing. Dr. Bader besitzt große Expertise in der konservativen und operativen Behandlung von Hochleistungssportlern und Freizeitsportlern. Mehr Infos: www.ortho-graefelfing.de
Autorin: Gabriele Hellwig
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