Mein erster Berlin-Marathon – Zwischen Euphorie und Erschöpfung

Einmal den Berlin-Marathon laufen, das wollte ich schon länger. Und zwar, seitdem ich vor etwa elf Jahren aus Prenzlauer Berg nach Schöneberg gezogen bin. In Fußweite zur Marathonstrecke. Und so standen meine Frau und ich und später dann auch unsere Kinder regelmäßig am Straßenrand (etwa bei KM 22 vor der Apostel-Paulus-Kirche) und haben die vielen Läuferinnen und Läufer angefeuert, mit Namen gerufen, abgeklatscht und vor allem bewundert.

Berlin-Marathon Erfahrung von Tim Niedernolte

Tim Niedernoltes erste Berlin-Marathon Erfahrung

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Mein Entschluss: Der Beginn meiner Berlin-Marathon Erfahrung

„Eines Tages  laufe ich da auch mal mit“, habe ich mir öfter gesagt. Denn die Atmosphäre, dieser einzigartige Vibe, das oft so schöne Wetter haben mich nachhaltig fasziniert.

Als ich 2022 dann mit meinem frisch ausgeheilten Achillessehnenriss an der Strecke stand, fasste ich den Entschluss: sobald ich wieder beschwerdefreie Laufen kann, auch längere Strecken, dann mache ich endlich mit.

„Und ich laufe unter vier Stunden!“, schob ich noch nach zu einem guten Freund, der gerade neben mir stand. „Respekt, wenn du das überhaupt schaffst, Tim“, meinte er. „Und ich will es dir auch nicht ausreden… aber unter vier Stunden – das schaffst du nie!“ „Ok, ich wette dagegen!“

Hand drauf, der Deal stand… und in diesem Jahr war es dann endlich soweit!

Berlin-Marathon Erfahrung von Tim Niedernolte

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Training, Motivation und der Plan zum Durchhalten

Wann und wie fängt man mit dem gezielten Training an? Ich war bisher kein großer Langstreckenläufer. Joggen, ja. Gerne auch regelmäßig und hier und da auch mal länger. Doch regelmäßig mehr als zehn, mehr als zwölf Kilometer? Selten, sehr selten. Nicht, weil ich es mir nicht zutraute. Ich fand es einfach langweilig, länger als eine Stunde zu laufen. Und auch eine Zeitfrage. Meine Sportart war immer Fußball –  ein Mannschaftssport.

Und so lief ich ab dem Frühjahr mit Blick auf den Marathon bewusst mal ein bisschen länger als gewöhnlich. Auch etwas regelmäßiger. Doch noch ohne gezielten Plan.

Wobei ich immer wusste: den brauchst du, Tim. Zumal ich auch jeden erfolgreichen Marathon-Finisher, den ich traf, nach seinem persönlichen Top-Tipp fragte für mich als Debütant. Und da war oft das Thema mit den längeren Strecken dabei. Und einem speziellen Plan.

Den holte ich mir dann mehr oder weniger auf den Tag genau drei Monate vor dem großen Start. Entspannt beim zweiten Morgenkaffee auf unserem Balkon und mit ChatGPT.

„Das sind meine körperlichen Daten, so und so oft laufe ich bisher. Das will ich gerne erreichen als Zielzeit. Und der Start ist Sonntag, 21.09.2025.“

Fertig war mein persönlicher Trainingsplan, der mich durchaus überzeugte. Drei Einheiten die Woche, eine davon Intervall-Läufe, dazu ein sich in der Distanz immer steigernder Langlauf. Bis zum Peak von 32 Kilometern. Und dann langsam wieder weniger bis zum großen Tag. Los ging‘s.

Und tatsächlich, bis auf einen Longrun mangels Zeit, habe ich wirklich alle Einheiten 1:1 so durchgezogen. Hier und da mal mit einem Tag Verzug. Doch ansonsten: einfach machen!

Die größte Herausforderung war dabei die Sache mit der Zeit. Denn, gerade am Wochenende, mal zwei, sogar drei Stunden unterwegs sein… nicht immer leicht mit der Familie zu koordinieren. Das musste gut geplant sein. Eindeutiger Vorteil hier: mein Status als Freiberufler, der es mir erlaubte, gut auch mal am Montagmorgen drei Stunden zu laufen.

Ein Gamechanger war mein Trink-Rucksack, den ich mir nach meinem ersten Halbmarathon mit einer 0,5-Liter PET-Flasche in der Hand und bei 30 Grad zur Mittagszeit zulegte.

Berlin-Marathon Erfahrung von Tim Niedernolte

Wenn der Körper streikt – was ich ihm Marathon-Training lernte

Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schmerz- und beschwerdefrei durch die Vorbereitung komme. Natürlich habe ich immer genau auf die einst gerissene Achillessehne gehört und geachtet. Doch die war erstaunlich ruhig.

Wenn, dann hat sich eher die andere gemeldet. Doch nicht stark und mit den passenden Pausen und regelmäßigen Dehnungen keine weiteren Vorkommnisse. Die Waden waren früher mal ein Problem. Wenn ich aus dem Nichts eine zu lange Distanz gelaufen bin. Das habe ich auch erwartet, dass es so kommen könnte. Doch die stückweisen Steigerungen, verbunden mit den regelmäßigen Pausen, schienen der passende Mix zu sein. Das lief tatsächlich alles sehr rund.

Und so hatte ich selten Zweifel, ob ich den ersten Marathon meines Lebens auch schaffe. Was mir Gedanken gemacht hat, das war mein mir selbst gestecktes Zeitziel. Unter vier Stunden?! Ich hatte ja keine Ahnung, was das bedeutet. Und mit jedem anfänglichen Lauf über 20 km, den ich lockerer absolvierte, dachte ich: “Ok, das jetzt mal zwei… und dann noch in schneller?! Boah, das wird hart. Ob das klappt?!“ Da war ich mir plötzlich gar nicht mehr so sicher.

Aber ich hatte ja meinen Plan, an dem ich eisern festhielt. Und wenn ich den erfülle, so meine Annahme, in Verbindung mit bewussterer Ernährung die Wochen vorm Start und gepaart mit der Euphorie des Rennes, dann wird das schon irgendwie. Ich kann ja an dem Tag alles raushauen und ans Limit gehen.

Also, auf zur nächsten Einheit und einfach machen!

Berlin-Marathon Erfahrung von Tim Niedernolte

Der große Tag: Meine Berlin-Marathon Erfahrung hautnah

Endlich war es soweit! Seit Tagen sah ich die blauen Markierungen auf Berlins Straßen. Das Abholen der Startnummer bei der Marathon-Messe mit diesem so einzigartigen Flair von tausenden Läuferinnen und Läufern aus aller Welt hat mich geflasht. Jetzt will ich es auch wissen. Ich war heiß. Und so glücklich, dass die Wetteraussichten so gut waren.

Hauptsache kein Regen. Nicht an DEM Marathon, an dem ich endlich einmal mitlaufe. Dass es so heiß werden sollte – und vor allem so schwül – hatte ich da noch nicht weiter als große Hürde gesehen. Immerhin habe ich die meisten meiner Longruns mitten im Sommer, teilweise bei großer Hitze in Italien, durchgeführt.

Hinzu kam, dass der 21.09.2025 mein Geburtstag war. Mein 47-ster. Die einmalige Verschiebung des Marathon-Wochenendes wegen der ehemals für Ende September geplanten Bundestagswahl erhöhte natürlich noch einmal die Einzigartigkeit dieses Tages.

Der Geburtstagskuchen am Morgen war mein Energiejoker. Ein paar weitere Gels und Riegel habe ich mir eingesteckt. Zusätzliche Drinks waren reserviert für KM 22 und später noch einmal bei Freunden im letzten Viertel. Auf geht’s!

Einer der eindrücklichsten Momente war dann die Fahrt mit dem Mietrad von Schöneberg zum Start. An jeder Straßenecke bauten die vielen Helfer und Volunteers die Sperrungen und Versorgungstische auf.

By the way: so viele tolle Menschen mit einem so wichtigen und selbstlosen Einsatz für ein Event der Extraklasse – mein aller größter Respekt und Dank an dieser Stelle!

Mit meinem Fahrrad und der Startnummer unter der Jacke kam ich überall entspannt durch. Es war magisch, diese vorfreudig aufgeregte Fahrt über die freien Straßen, an meinem Geburtstag, zu meinem Rennen… unbeschreiblich.

Ebenso unbeschreiblich, wie voll es rund um den Reichstag war auf dem Weg zu meinem Startblock. Aber auch: wie positiv die Stimmung.

„Sportlich, energiegeladen, nervös, magisch!“

Wie viel soll ich noch trinken? Wann ein letztes Mal zur Sicherheit auf Toilette? Wo mich in der Masse einreihen? Geht die Story noch online bei so vielen eingewählten Handys in das überlastete Netz?

„Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins: GO!“

Lauf‘, Tim Lauf‘!

„Bloß nicht zu schnell, bloß nicht zu schnell. Die ersten Kilometer einfach mitkommen und nicht von der Euphorie anstecken lassen“, habe ich mir so oft sagen lassen und in jeder meiner Zellen abgespeichert.

Auf Kurs Richtung Ziel – meine Berlin-Marathon Erfahrung im Rennen

5:30, dann 5:31 pro Kilometer… ich bin auf Kurs. 5:40 pro Kilometer muss meine Durchschnittszeit sein, dann knacke ich die vier Stunden. Rund um jede Versorgungsstation habe ich immer etwas Zeit gelassen… laut meiner Handy-App. Denn eine Laufuhr hatte ich nicht. Ich war ja Debütant, Hobbyläufer. Und warum extra auch noch eine Uhr besorgen, wenn meine App meine Strecken trackt und mir jeden Kilometer die Durchschnittszeit ansagt.

Beim Halbmarathon war ich knapp unter zwei Stunden. Auf Kurs. Yes. Zumindest zeitlich. Doch was meinen Zustand betraf, ohne dass ich das Gefühl hatte, zu schnell zu laufen… irgendetwas war anders heute. Beschwerlicher, anstrengender, härter. Wo ist die Euphorie des Renntages, die Extra-Power durch die Menschen an der Strecke? Komisch…

Noch einen Kilometer bis zu meiner Familie in Schöneberg. Was für ein Highlight, was für ein Wiedersehen mit meiner Frau und unseren beiden Kids an der Strecke. Ihr selbst gebasteltes, buntes Motivationsbanner hängt noch immer in unserem Wohnzimmer.

Weiter, immer weiter. Am Rathaus Schöneberg und in Steglitz warten gute Freunde an der Strecke. Doch wo sind sie, wie lange zieht sich bitte diese Wiesbadener Straße und das Südwestkorso? Kommt der Mann mit dem Hammer nicht erst nach 30 Kilometer? Bei 33 oder 35 oder wo auch immer? Aber hier? Ist er das überhaupt schon? Ist es das schwüle Wetter? Oder einfach der Marathon?

Ich zweifelte… an mir und meinem Anspruch und ob ich mein Ziel wirklich erreiche heute? Eigentlich war der Plan, bis zur Hälfte, bis Kilometer 25 locker in meiner Zielzeit zu laufen. Und dann mehr zu geben und zu schauen, was noch geht.

Doch draufpacken, hier und jetzt und sofort? No way… irgendwas ist anders heute. Wo ist die Leichtigkeit aus dem Training? Da muss doch heute noch mehr gehen?

Und dann überholt mich der Tempoläufer mit dem schwarzen 4:00h-Ballon!

„Oha, da ist er… mein Mann mit meiner Zeit! Häng´ dich dran, Tim! Oder besser, häng´ ihn ein wenig ab. Dann hast du einen Puffer!“

Gedacht, getan. „Puuuh, ist der schnell. Ich komme ja kaum vorbei!“ Und warum geht es hier jetzt plötzlich bergauf?

Mal komme ich ein bisschen voran, dann holt mich der 4h-Mann wieder ein. Ein paar Mal geht das so. Dann ist Schluss. Bei mir.

„Tim, vergiss‘ es. Lauf‘ einfach so weiter, wie es geht. Vergiss‘ die 4 Stunden und genieß‘ den Lauf. Deinen Lauf. Deinen Geburtstagslauf!“

Vielleicht ja die Weisheit des Alters an so einem Jubiläumstag. Verbunden mit den vielen Hinweisen von erfahrenen Läuferinnen und Läufern aus meinem Umfeld, die mir immer geraten haben, mich bei meinem aller ersten Mal Berlin bloß nicht auf die Zeit zu versteifen. Cool, wenn‘s klappt. Doch genauso toll, wenn es auch nicht klappt. Hauptsache, einen Marathon laufen und durchhalten.

Und genau das tat ich dann auch. Ich erlaubte mir am Ende sogar ein paar weitere Kurzpausen. Und ab und zu musste ich sogar auch mal ein paar Meter gehen. Fühlte sich nicht gut an irgendwie. Bis heute nicht. Aber so what. Ist ja nicht verboten, bei einem Lauf dieser Länge auch einmal zu gehen.

Es ging nicht anders. Tat in dem Moment mega gut. Und hat in meinen Oberschenkeln, kurz über den Knien, sicher auch einen Krampf verhindert. Der wäre gekommen, das habe ich gefühlt.

Und dann war da das Brandenburger Tor. Nur noch wenige hundert Meter. Handy raus, den Moment wollte ich festhalten. Jetzt, der blaue Boden, nur noch wenige Meter: YES!!! Ich bin durch, ich bin im Ziel, ich bin Marathon-Mann. Und das an meinem Geburtstag. In 4:20:28!

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Zwischen Erschöpfung und Euphorie – Tim Niedernolte im Ziel – 1. Marathon finished!

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Was bleibt: Stolz, Erkenntnisse und Lust auf mehr

Mein größtes Learning: wie schön es sein kann, lange Strecken zu laufen. Meditativ, und Kopf frei machend. Ich hätte nicht gedacht, dass ich step by step mehr Gefallen daran finde, länger zu laufen.

Und wie man sich dabei weiter entwickelt. Von „Hauptsache mal einen Halbmarathon durchhalten“ zu „Ok, so 21 Kilometer, die laufe ich dir direkt nach dem Aufstehen und einem Kaffee und zwei Brötchen.“

Wie schön es sein kann und sich selber stolz machend, wenn man Stück für Stück seine eigenen Grenzen verschiebt. Ohne Druck, sondern durch Kontinuität, Willen und regelmäßigem Training. Das war toll. Und das will ich mir gerne bewahren. Auch ohne festes (Lauf-)Ziel vor Augen.

Berlin-Marathon Erfahrung von Tim Niedernolte

P.S. Wobei, einen mache ich noch. Mindestens. Denn jetzt weiß ich ja, wie es sich anfühlt. Wie es läuft. Und dann ist da ja noch die Sache mit der Zeit: Da geht noch mehr! Das würde ich gerne noch mal versuchen.

Autor: Tim Niedernolte; Fotos: Sportograf

Über Tim Niedernolte

Tim Niedernolte ist ein deutscher Moderator und Autor, geboren am 21. September 1978 in Bünde. Er absolvierte von 2001 bis 2006 ein Studium der Kommunikationswissenschaft, Französisch und Literaturwissenschaft an der Ludwig‑Maximilians‑Universität München und schloss mit dem Magister Artium ab. Nach ersten Stationen beim Rundfunk moderierte er große Fernsehformate wie das Kindermagazin „logo!“ und aktuell das ZDF-Boulevard-Magazin „hallo deutschland“. Als Buchautor veröffentlichte er Werke wie „Wunderwaffe Wertschätzung“ (2018) und „Respekt! Die Kraft, die alles verändert“ (2020) – Themen, die seine Leidenschaft für Wertschätzung und gesellschaftliche Haltung spiegeln. Mehr Infos findest du unter timniedernolte.de

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