Die holländische Alternative 11-Städte-Tour

Eissportspektakel lockt seit 35 Jahren tausende Eisschnellläufer an den Weissensee

Alljährlich im Winter findet in Kärnten eine holländische Invasion statt. Aber einmal kommen sie nicht mit ihren Wohnwagen, für die sie auf europäischen Straßen im Sommer berühmt-berüchtigt sind. Die meisten kommen per Bahn, Reisebus oder Flieger. Im Gepäck haben sie dicke Winterklamotten, Rennanzüge und Eisschnelllauf-Schlittschuhe.

Alternative 11-Staedte-Tour Weissensee

Autor Stefan Schlett beim Eissportspektakel am Weissensee

Ihr Ziel ist der 930 m hoch gelegene Weissensee. Dann kommen 6.000 Gäste, davon 4.500 aktive Teilnehmer, zur „Holländischen Alternativen 11-Städte-Tour“, der größten Natureislaufveranstaltung der Welt.

Die holländischen Organisatoren rücken mit einem 80-köpfigen Mitarbeiterteam an, um in zwei Wochen 8 Amateur- und Profibewerbe mit Renndistanzen von 40-200 km durchzuführen. Im Schlepptau holländische Ärzte, ein Bauhofteam, PR-Abteilung und Pressevertreter. 95% der Teilnehmer sind aus Holland, der Rest verteilt sich auf wenige europäische Nationen.

Die kleine Gemeinde Weissensee – 5 Ortschaften mit insgesamt 750 Einwohnern und 5.000 Gästebetten – generiert in dieser Zeit 30.000 Übernachtungen mit einer Wertschöpfung von rund 4 Millionen Euro!

Alternative 11-Staedte-Tour Weissensee

Bunte Rennanzüge hängen zur Belüftung an den Balkonen

An zahllosen Häusern wird die holländische Flagge gehisst, die Balkone der Hotels und Pensionen sind mit unzähligen bunten Rennanzügen dekoriert, die zur Belüftung aufgehängt sind. Holländisch ist dann die temporäre „Amtssprache“ und Trendfarbe Orange. Für zwei Wochen wird die Region um den Weissensee quasi zur 13. Provinz der Niederlande! „Die Holländer sind im Wahn“ meint dann der unbedarfte Zuschauer ob dieses riesigen Spektakels.

Um das alles richtig verstehen zu können, muss der Leser einen Exkurs in die Geschichte der eislaufverrücktesten Nation der Welt unternehmen: Wenn in strengen Wintern die holländischen Gewässer frieren, will die ganze Nation raus aufs Eis. Dann wimmelt es auf den Grachten und Seen von Schlittschuhläufern und es finden wahre Volksfeste auf den Eisflächen statt.

Alle lauschen gespannt den Eisberichten und Wettervorhersagen und hoffen, dass der „Elfstedentocht“ (zu deutsch Elfstädtetour) endlich wieder stattfindet. Dieses bedeutendste Sportereignis Hollands ist nicht nur eine populäre Veranstaltung, sondern ein nationaler Mythos, der im Jahre 1909 in der niederländischen Provinz Friesland erstmals ausgetragen wurde.

Ein Schlittschuhrennen auf zugefrorenen Kanälen, Flüssen und Seen über 200 km durch 11 friesische Städte. Der Event zieht bis zu 17.000 Läufer und 1,5 Millionen Zuschauer an und kommt einem Staatsfeiertag gleich. Legendenstatus erhielt die Elfstädtetour vom 18. Februar 1963, die als das härteste Rennen aller Zeiten in die Geschichte einging. Bei Schneesturm und minus 20 Grad erreichten nur 69 von 10.000 Läufern das Ziel.

Zur Durchführung wird auf der gesamten Strecke eine Eisstärke von mindestens 15 cm benötigt. Seit seiner Gründung fand der Wettkampf mangels kalter Winter jedoch nur 15-mal statt, zuletzt vor einem ¼ Jahrhundert, im Jahre 1997.

Deshalb hielten die Organisatoren schon früh Ausschau nach alternativen Veranstaltungsorten und waren bereits in Finnland, Schweden, Polen und Kanada mit der „Alternativen 11-Städte-Tour“ unterwegs. Doch nirgends waren die Bedingungen ideal.

Durch eine Szene in dem James Bond Film 007 „Der Hauch des Todes“, in der Bond mit einem Aston Martin über den zugefrorenen Weissensee brettert, wurde das damalige Organisatoren-Duo Aart Koopmans und Leo van Hees auf die Location aufmerksam.

Eine Delegation besuchte die Alpengemeinde und traf bei den Tourismusverantwortlichen auf offene Ohren. Es war der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte und brachte 1989 zur Premiere der Alternativen Holländischen 11-Städte-Tour rund 1.000 Eisläufer und ihre Fans an den Kärntner Alpensee.

Nach einer 2-jährigen coronabedingten Pause (2021 & 2022) fand diesen Januar und Februar bereits die 33. Auflage statt. Für den Anlass wurde sogar extra ein Direktflug von Rotterdam nach Klagenfurt mit 6 Flugrotationen eingerichtet, von wo die Sportler via Bustransfer zum Weissensee chauffiert werden. Für Bahnreisende gibt es zusätzlich den täglichen Nightjet von Holland nach Österreich. Nicht wenige der unzähligen Eislaufvereine chartern auch Reisebusse für einen Vereinsausflug zu dem 1.000 Kilometer entfernten Happening am Weissensee.

Die frostige Oberfläche dieses Sees wird dann zum Sehnsuchtsort und emotionalen Sportlerheimat eisiger Träume, die sich ein Jahr lang aufgestaut haben.

Alternative 11-Staedte-Tour Weissensee

In der kalten Jahreszeit verwandelt sich der Naturpark Weissensee am Fuße der Gailtaler Alpen zur größten präparierten Natureisfläche Europas. Der 11,6 km lange und 6,5 Quadratkilometer große See friert ab Mitte Dezember verlässlich zu und beeindruckt mit Eisstärken von bis zu 40 cm und rund 70 Eislauftagen pro Saison. Das macht ihn zu einem Eldorado, nicht nur für Eislaufenthusiasten, sondern auch kälteresistenten Extremsportlern: rund 2 Dutzend Weltrekorde im Apnoetauchen unter Eis in verschiedenen Disziplinen wurden bisher in der alpinen Perle Weissensee aufgestellt.

Der nur wenige Meter tiefe Westteil, auch das kleine Meer genannt, erstarrt zuerst, so dass in der Regel eine Schlangenlinienförmige Eisbahn mit 12,5 km Gesamtlänge angelegt werden kann. Die Eisschnellläufer müssen dann also für die längste Wettkampfstrecke 16 Runden fahren.

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Ein Teil der Rennstrecke am Weissensee aus der Vogelperspektive

Der bis zu 99 m tiefe Ostteil benötigt etwas länger, doch ist dies rechtzeitig der Fall, kann sogar eine 25 km lange Rundbahn gebaut werden. Ein Glücksfall ist das Spiegel- oder Blankeis, die eleganteste Form des Natureises. Dieses kann es jedoch nur zu Beginn einer Saison geben, also wenn der See unter optimalen Bedingungen erstmals zufriert. Es ist dann wie fahren auf einer Glasplatte und lässt eine scheinbare Sicht bis auf den Grund zu – ein Geschenk des Eisuniversums!

Doch was ist eigentlich das Geheimnis, das ihn als einzigen Alpensee in die Lage versetzt, das weltweit größte Eislaufrennen auf Natureis zu veranstalten?

Nahezu jedes Kultrennen hat auch eine Kultfigur. Denn das eisige Vergnügen ist nicht nur eine Laune der Natur, sondern hängt maßgeblich von einem Mann ab: Norbert Jank! Der 1,84 m große, sehnige und kraftvoll zupackende, 76 Jahre junge Naturbursche ist der Eismeister. Sein Job ist die hohe Kunst der Eispflege. Es ist keine geschützte Berufsbezeichnung, aber eine hochkomplexe Wissenschaft.

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Der “Eisflüsterer” Jank und sein Team

Janks‘ Welt ist seit 4 Jahrzehnten das Eis, welches er wie seine Westentasche kennt. Der feste Aggregatzustand von H2O ist nämlich eine unberechenbare und von zahlreichen Determinanten abhängige Welt. Das Natureis reagiert permanent auf die Einflüsse von Temperatur, Wind und Wetter, hat Risse und Spalten.

Jank kann mit dem Eis reden, kennt seine Sprache, die Kniffe und Tricks, die zur gewünschten Eisqualität führen. Er kennt aber auch die Kapriolen von Wind und Wetter und schließlich auch die eigene Ohnmacht, wenn gar nichts mehr geht.

Der Schutz Tausender Touristen und Sportler hängt von seinem Tun, seinen klaren Entscheidungen, jahrzehntelanger Erfahrung und Routine und oft auch von seinem Instinkt ab. Ohne seine Freigabe darf keiner aufs Eis. Die gesamte Alpengemeinde ist während der eisigen Jahreszeit von ihm abhängig. Vier Monate ist er in jedem Winter zusammen mit seinem 3-köpfigen Eisteam, zu dem auch seine Söhne Norbert und Bernhard gehören, unermüdlich im Einsatz. Mit einem ganzen Fuhrpark von Räumfahrzeugen und einem Bauwagen sorgen sie für die Pflege und Präparation von bis zu 25 km langen und 15 m breiten Eislaufrundbahnen, dazu Eisstockbahnen, Eishockeyplätzen und einer 400 Meter-Bahn für Eisschnellläufer. Die Spezialfahrzeuge wurden alle selbst entworfen und für diese besonderen Anforderungen zusammengebaut.

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22 cm dick ist die Eisschicht am Weissensee

An den zwei Marathonwochen während der Alternativen 11-Städte-Tour sind sie Tag und Nacht im Einsatz. Wenn das Eis wachsen will, muss der Schnee nach Möglichkeit sofort geräumt werden – eine heikle Mission! Erst vor 3 Jahren ist Jank (mal wieder) ins Eis eingebrochen und konnte sich, bereits unter Wasser, erst in letzter Sekunde aus der Dachluke seiner 2 ½ Tonnen schweren Zugmaschine befreien…

Die Holländer verehren den eiskalten Haudegen, für sie ist er ein Held. Und in den Niederlanden angeblich besser bekannt als die Königin, was natürlich leicht übertrieben ist, aber auf jeden Fall ist er dort bekannter als in der eigenen Heimat. Er ist Publikumsliebling und bevorzugtes Objekt der Medien aller Couleur.

Für den „Eisflüsterer“ ist das gefrorene Element Berufung und Liebesbeziehung zugleich. Die Stuttgarter Autorin Cornelia Ohst hat sein Lebenswerk vor 2 Jahren in dem Buch „Der Weissensee und sein Eis-Magier“ (ISBN: 978-3-00-070860-2) verewigt. Sohn Bernhard soll den Job später einmal übernehmen. Aber noch sprüht Norbert Jank, der in Weissensee geboren ist und sein Leben hier verbracht hat, nur so vor Energie. Der Kältekönig ist der Chef auf dem Eis und gilt in ganz Kärnten als Sachverständiger. „Und was macht der Eismeister im Sommer?“ fragte kürzlich ein neugieriger Journalist. „Da esse ich Eis“ war die augenzwinkernde Antwort…

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Die Profis erreichen in der Kurve bis zu 60km pro Stunde

Neben den Volksläufen mit Distanzen von 50/100/200 km, Grand Prix Rennen mit kürzeren Distanzen und diversen Meisterschaften ist das Profirennen über 200 km der alljährliche Höhepunkt. Hier werden Weltklasseleistungen erbracht, der Rekord aus dem Jahre 2000 liegt bei 5:11 Stunden und bei den Zwischensprints erreichen die professionellen Kurvenflitzer Geschwindigkeiten jenseits der 60 km/h Grenze!

Die holländischen Profis reisen mit einer ganzen Entourage an und sind in ihrem Heimatland so berühmt wie hierzulande die Skiabfahrtsläufer beim Hahnenkamm-Rennen auf der Streif in Kitzbühel. Die niederländischen TV-Anstalten berichten live über das Ereignis. 2023 hatte es miserable Wetter- und dementsprechend Eisbedingungen. Die ersten drei von 8 geplanten Rennen zwischen dem 24. Januar und 3. Februar mussten abgesagt werden. Der Ostsee war noch komplett offen, während auf dem Westteil eine 8,7 km lange Rennbahn mit 22 cm Eisdicke präpariert werden konnte.

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Das vollbesetzte Festzelt gleich neben der Rennstrecke

Während Deutsche und Österreicher, ob solcher Absagen gerne zum Meckern neigen, sehen das die immer gut gelaunten Niederländer pragmatischer. Sie gelten als unkompliziert, freundlich und tiefenentspannt. Statt der geplanten Wettkampfbesprechung im voll besetzten Festzelt wurde dann halt einfach gefeiert. Unter den Klängen einer Liveband standen hunderte von verhinderten Eisläufern auf Tischen und Bänken, tanzten und schunkelten bis spät in die Nacht.

Tags darauf wurde dann mit dem Hollandrad auf dem Eis gefahren, auf der Übungsbahn geskatet oder am Servicestand, den zwei aus Holland eingeflogene „Kufenmeister“ betrieben, der Schleif- und Reparaturservice in Anspruch genommen. Selbst Profis, die einem strengen Trainingsregime folgen, trainierten ersatzweise mit dem Fahrrad auf dem Eis. Auch Skilanglauf bot sich an, da das Klappsystem für die Kufen identisch ist und derselbe Schuh für beide Sportarten benutzt werden kann.

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In der zweiten Veranstaltungswoche konnten dann mit viel Wetterglück alle geplanten Rennen ausgetragen werden. Neben den Offenen Niederländischen Meisterschaften, sowie zwei Volksläufen mit insgesamt fast 2.000 Startern wurde vor allem das Profirennen zelebriert. Hier triumphierte Ariens Crispijn aus Boxtel in Nordbrabant und fuhr in 5:37:25 h nach 2017 seinen zweiten Sieg ein. Bei den Damen machte Sharon Hendriks das Rennen in 6:27:20 h. Die 30-jährige Ärztin aus Lemele in der Provinz Overijssel konnte sich im Zielsprint vom Peloton lösen und einen überragenden Sieg einfahren.

Alternative 11-Staedte-Tour Weissensee

Die Alternative Holländische 11-Städte-Tour musste seit Beginn bis ins Jahr 2020 kein einziges Mal wetterbedingt abgesagt werden, weshalb 2006 der Vertrag mit dem veranstaltenden niederländischen Verein „Stichting Wintersporten“ unter seinem aktuellen Vorsitzenden Toine Doreleijers auf gleich 100 Jahre verlängert wurde…

Die 34. Holländische 11-Städte-Tour findet vom 20. Januar bis 3. Februar 2024 statt.

Autor: Stefan Schlett

Fotos: Wolfgang Kulow + Kärnten Werbung

Hol dir noch weitere Infos ab:

Die 34. Holländische 11-Städte-Tour findet vom 20. Januar bis 3. Februar 2024 statt. Die Anmeldung ist offen.

www.weissensee.com > Touristische Informationen, sowie unter der Rubrik „Ice World“ alles wissenswerte über die Alternative Holländische 11-Städte-Tour

www.weissensee.nl > Veranstalter-Webseite des Vereins Stichting Wintersporten und Anmeldeportal für die Rennen, leider nur in holländischer Sprache

www.natureislauf.at > Daten und Fakten zur Natureisfläche

www.wintertriathlon-weissensee.com/ > Wintertriathlon am Weissensee mit 5 km Laufen, 12.5 km Eislaufen, 8 km Skilanglauf

Gäste-Eisschnelllaufmarathons über 50 km: Finden von Anfang Januar bis Anfang März jeden Freitag statt (außer während den beiden „Holländerwochen“). Anmeldung bis zum Vortag bei der Weissensee Information unter Telefon +43(0)4713 2220. Startgeld 12 Euro, inklusive Urkunde, Medaille und Tee.

Den ganzen Winter über herrscht jederzeit freier Zugang auf den gefrorenen Weissensee, sofern dieser nicht wetterbedingt gesperrt ist. Falls Letzteres eintritt, gibt es vielseitige Winteraktivitäten als Ersatz, wie Eistauchen, Skilanglauf, Reiten, Rodeln, Schneeschuhwandern, Skiabfahrtslauf, Snowtubing, Eisfischen, Winterwandern etc. Ski-, Eis- und Langlaufschulen vermitteln die entsprechenden Techniken. Und zu sämtlichen Aktivitäten gibt es den entsprechenden Ausrüstungsverleih.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt man bis Bahnhof Greifenburg, von wo ein umfangreicher Shuttleservice für die „letzte Meile“ zur Unterkunft eingerichtet ist.

Last but not least, der tägliche Eisbericht als pdf

Unmittelbar nach dem Ende der diesjährigen Alternativen 11-Städte-Tour fand noch ein Rekordversuch statt:

Der Österreicher Christoph Strobl erzielte am 3. Februar 2023 einen neuen Weltrekord für die weiteste mit Monoflosse unter Eis getauchte Strecke ohne Neoprenanzug. 70,14 Meter schaffte er unter der undurchdringlichen Eisschicht mit nur einem Atemzug. Bei solchen Rekordversuchen wird zur Orientierung 2 m unter dem Eis ein Sicherungsseil angebracht, alle 25 m gibt es aus Sicherheitsgründen ein Loch im Eis und Rettungstaucher überwachen den gesamten Vorgang.

Natürlich bleibt auch der Weissensee nicht vom Klimawandel verschont, was sich in den vergangenen Jahren mit geringerer Eisstärke und weniger Eislauftagen in der Saison bemerkbar gemacht hat. Aber zum Schlittschuh fahren bleibt es weiterhin eine verlässliche Destination. In den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war das Eis so dick, das sogar eine Skyvan des österreichischen Militärs für eine Fallschirmsprungveranstaltung auf dem See landen und starten konnte.

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