Was steckt hinter dem Trendsport Bouldern und warum sollten Läufer an der Wand trainieren?
Tipps und Wissenswertes rund um den gesunden Ganzkörper Trendsport Bouldern
Ein Interview mit dem Boulder-begeisterten Läufer Udo Kithier
Trendsport Bouldern
Bouldern boomt – egal ob in der Halle oder draußen an der Felswand. Bei der Trendsportart wird die komplette Körpermuskulatur trainiert, Koordination und Balance werden gefördert, die Haltung und die Psyche gestärkt. Und das Beste ist: Man muss nicht erst in die Muckibude gehen, um sich fit zu machen, sondern kann als totaler Anfänger und reiner Ausdauersportler mit dieser Spielart des Kletterns anfangen und wird sehr schnell Fortschritte machen.
Wir haben einen Boulder-Schnupperkurs besucht und mit einem kletterbegeisterten Läufer gesprochen, der sich ein Sportler-Leben ohne Bouldern nicht mehr vorstellen kann.
Faszination Bouldern
Udo Kithier ist früher nur gelaufen, eine andere Sportart kam für ihn nicht in Frage. Wir haben einige Jahre lang zusammen trainiert, wobei er mir mit einer Marathonbestzeit von 2:38 Stunden immer deutlich überlegen war. Heute ist Udo ein Multisportler: Wenn er nicht gerade in seinen Lauf- oder Wanderschuhen unterwegs ist, trifft man ihn auch mal auf seinem Gravel-Bike oder in der Kletterhalle. Vor rund 6 Jahren hat Udo das Bouldern für sich entdeckt und ist seitdem Feuer und Flamme für diesen Sport. Warum der Trendsport Bouldern auch für uns Läufer ideal ist und welche Tipps er uns mitgeben kann, erklärt Udo in diesem Interview:
Wie kam es zu deiner Faszination fürs Bouldern?
Udo: „Ich wohne in der Nähe von Bamberg unweit der Fränkischen Schweiz, einer Region, in der der Klettersport auf eine lange Tradition zurückblickt. Das Klettern gehört zum sportlichen Kulturgut. Kletterer aus aller Welt pilgern hierher, um die unverwechselbare Felslandschaft zu bezwingen. Und wenn das Wetter zu schlecht ist, muss keiner aufs Klettern verzichten: In mehreren Kletter- und Boulderhallen findet sich alles, was das Herz begehrt.
Vor allem das Bouldern hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen. Ich habe mich vor ca. 6 Jahren in der Boulderhalle in Bamberg zum ersten Mal in die aus Läufersicht viel zu engen Kletterschuhe gezwängt und an dreidimensionalen Wandstrukturen mit künstlichen Griffen und Tritten meine ersten Klettererfahrungen gesammelt. Begleitet wurde ich von meiner damals zwölfjährigen Tochter. Und bis heute verbringen wir regelmäßig gemeinsam Zeit, um an Boulder-Problemen zu tüfteln und die Schwerkraft zu besiegen. Es macht unfassbar viel Spaß.“
Was begeistert dich besonders am Bouldern?
Udo: „Was mich am Bouldern fasziniert, ist zunächst die Einfachheit der Sportart. Es gibt für jede farblich markierte Route definierte Start- und Zielgriffe. Dazwischen gilt es nicht loszulassen und letztendlich oben anzukommen. Die Belohnung wartet beim Festhalten des Top-Griffs für drei Sekunden mit beiden Händen: Triumphale Gefühle, manchmal auch nur pure Erleichterung!
Gleichzeitig ist Bouldern eine Bewegungskunst, ein komplexes Zusammenspiel von Körper und Psyche. Ich bin seit über 30 Jahren leidenschaftlicher Läufer und habe in meinem Leben bereits viele Sportarten ausprobiert. Aber weder das Laufen noch anderer Sport haben mich so gefordert und gleichzeitig so demütig gemacht wie das Bouldern.
Was die körperlichen Faktoren angeht, ist Bouldern viel mehr als nur die Nutzung von Arm- und Fingerkraft. Leistungsbestimmend sind maßgeblich auch die Klettertechnik, koordinative Fähigkeiten, Beweglichkeit, Balancegefühl und die physische Belastbarkeit.
Beim Bouldern gilt wie kaum bei einer anderen Sportart, dass der Kopf sehr großen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Performance hat. Faktoren wie Mut, Fokus, Motivation und Erfolgswille spielen hier eine entscheidende Rolle.“
Warum ist der Trendsport Bouldern ein guter Sport für Läufer?
Udo: „Laufen an sich ist ja eine eher monotone Bewegungsform. Dazu neigen aus meiner Erfahrung viele Läufer dazu, zu wenig Abwechslung in ihr Training einzubauen und Alternativsportarten eher zu vernachlässigen.
Bouldern bringt Läufer aus ihrer Komfortzone, setzt neue Reize und löst Anpassungsprozesse aus. Bouldern und Laufen sind erstmal zwei völlig verschieden Sportarten. Kraft versus Ausdauer. Doch gerade von der Kraftkomponente des Boulderns profitiert der Läufer. Eine kräftige Muskulatur führt zu einem effektiveren Laufstil. Insbesondere eine starke Rumpfmuskulatur trägt dazu bei, dass Becken, Hüfte und Lendenwirbelsäule beim Laufen optimal stabilisiert werden.
Häufig wird ja auch von der Einsamkeit des Langstreckenläufers gesprochen. Bouldern hingegen ist ein eher geselliger Sport, man kommt sehr schnell ins Gespräch mit anderen Menschen. Die Boulder-Community unterstützt sich gegenseitig, erkennt die Leistungen anderer an und pflegt einen respektvollen und gleichzeitig unkomplizierten Umgang miteinander.“
Welche Muskelgruppen werden beim Bouldern besonders gestärkt?
Udo: „Vorweg: Kein Läufer muss Sorge haben, dass er die Boulderhalle mit Muskelbergen verlässt und diese dann über die Laufstrecken schleppen muss. Beim Bouldern werden keine Muskeln isoliert angesprochen, sondern immer ganze Muskelketten. Das sorgt für ein Top-Ganzkörpertraining ohne großen Massezuwachs.
Stark beansprucht werden beim Bouldern die Fingerbeugemuskulatur des Unterarms, der Latissimus und der große Rundmuskel. Wichtig sind darüber hinaus der Armbeuger, die Muskeln der hinteren Schulter, der Rotatorenmanschette und des Rückens sowie sämtliche Bauchmuskeln. Gerade Läufer, die im Alltag viel am Schreibtisch sitzen, profitieren enorm vom Bouldern.“
Was sind entscheidende Unterschiede zum Klettern?
Udo: „Vereinfacht gesagt versteht man unter Bouldern das Klettern in Absprunghöhe ohne Sicherungstechnik – also ohne Seile. Die Boulderwände in den Hallen haben eine Maximalhöhe von 4,50 Metern. Beim Absprung oder einem Sturz minimieren spezielle Weichbodenmatten das Verletzungsrisiko. In der Natur werden dafür sogenannte Crash-Pads genutzt, dabei handelt es sich um leichte und faltbare Matten, die wie ein Rucksack zum Felsen transportiert werden können.
Die Boulder-Routen bestehen aus durchschnittlich vier bis acht Griffen und sind innerhalb der jeweiligen Schwierigkeitsgrade unterschiedliche anspruchsvoll geschraubt. Während das Bouldern in die Läufersprache übersetzt eher eine Sprintdistanz darstellt, ist Seilklettern der Langstreckenlauf. Die Routen sind 10 bis 40 Meter lang. Dementsprechend stellen sich andere Anforderungen an die Ausdauerfähigkeiten: Bouldern erfordert nach meinem Empfinden eher Maximalkraft, während beim Klettern die Kraftausdauer im Vordergrund steht.“
Wie kann man sich eine Boulder-Einheit vorstellen und was braucht man an Fähigkeiten und Equipment?
Udo: „Die wichtigste Nachricht vorweg: „Kaffeetrinken ist integraler Bestandteil des Kletterns“. Dieser legendäre Satz stammt von Wolfgang Güllich (1960 – 1992), einem der berühmtesten deutschen Sportkletterer und Expeditionsbergsteiger. Dies drückt aus wie sehr Klettern und Bouldern nicht nur Sport sind, sondern auch ein Lebensgefühl darstellen. Also gerne auch mal Zeit mit in die Boulderhalle mitbringen, entschleunigen und entspannen.
Ansonsten steht zu Beginn der Boulder-Einheit erst einmal ein Aufwärmen auf dem Programm, um Verletzungsgefahren vorzubeugen und sich körperlich und geistig auf das Bouldern einzustellen. Dazu zählen ein paar Minuten Laufen, Seilspringen oder Ähnliches zur Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems. Anschließend wird die Finger- und Unterarmmuskulatur durch das Kneten eines Softballs erwärmt. Und wer jetzt noch ein paar Übungen zur Beweglichkeit und Körperspannung macht, darf sich anschließend an leichten Boulder-Routen einklettern.
Wie lange dann die eigentliche Boulder-Session dauert, in welchen Schwierigkeitsgraden geklettert wird und wie viele Boulder absolviert werden, ist vom individuellen Leistungsvermögen abhängig.
Um die Regeneration zu verbessern und muskulären Dysbalancen entgegenzuwirken, empfiehlt sich am Ende der Trainingseinheit ein leichtes Ausklettern, ein kurzes Dehnungsprogramm der oberen Extremitäten und eine Mobilisierung des Schultergürtels und der Arme. Auch der Einsatz einer Faszienrolle hilft bei einer schnellen Regeneration.
Spezielle Fähigkeiten benötigt man zum Bouldern nicht. Klettern ist eine im Menschen natürlich veranlagte Bewegungsform. Bewegungsfreude, Neugier, Unvoreingenommenheit und Bereitschaft was Neues auszuprobieren, sollten für die ersten Erfolgserlebnisse in der Boulderhalle reichen.
Bouldern ist was das Equipment angeht, eine einfache Sportart. Das Wichtigste sind wie beim Laufen gute Schuhe. Diese kann man in den meisten Hallen auch erstmal ausleihen. Ein Chalk-Bag für Magnesium und eine Griffbürste sind hilfreich. Dann noch bequeme, dehnbare, ausreichend robuste Sportbekleidung und dem Boulder-Vergnügen steht nichts mehr im Weg.“
Udos 7 Boulder-Tipps für Läufer – so trainierst du effektiv an der Wand:
- Eine Einweisung in der Boulderhalle mitmachen, um die Spielregeln des Boulderns zu kennen. Hierbei lernt man auch wie man auf eine Weise fällt, bei der man sich nicht verletzt.
- Einfach TUN! Bouldern lernt man am besten durch Bouldern.
- Das Erlernen der Grundtechniken in einem Kurs mit einem qualifizierten Trainer sorgt für schnellere Erfolgserlebnisse.
- Die Investition in Höhe zwischen 80,00 € und 150,00 € inklusive Beratung für einen passenden und dem Leistungsniveau entsprechenden Boulderschuh lohnt sich.
- Achtung: Bouldern kann süchtig machen und dazu führen weniger Zeit für das Laufen zur Verfügung zu haben!
- Laufsocken in Boulderschuhen sind eher uncool und entlarven seinen Träger als blutigen Anfänger.
- Es gibt eine goldene Regel in allen Hallen: Stehe oder sitze niemals dort, wo andere bouldern und herunterfallen könnten, denn dabei passieren die meisten Unfälle…
Zur Person:
Udo Kithier hat bereits über 30 Marathons gefinisht (PB: 2:38 h), ist gerne auf seinem Gravel-Bike oder in seinen Wanderschuhen unterwegs und hat vor circa sechs Jahren das Bouldern für sich entdeckt. Beruflich ist er für die finnische Laufschuhmarke KARHU und das baskische Outdoorunternehmen TERNUA tätig.
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