Das hilft bei Schmerzen im Schienbein

Plötzlich Schmerzen im Schienbein? Der Knochen selbst scheint weh zu tun. Besonders nervtötend: Die Beschwerden beginnen unmittelbar nach dem Laufstart und bleiben bis zum Ende der Belastung. Eine zügige Behandlung ist beim Schienbeinkantensyndrom enorm wichtig, sagt Dr. Ulrich Bader, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in der OrthoPraxis in Gräfelfing.

Schmerzen im Schienbein

Betroffene Läufer können sich die Beschwerden anfangs gar nicht erklären. Oft laufen sie am nächsten Tag erneut – in der Hoffnung, dass sich die Situation von selbst bessert. Ein Irrtum: Inzwischen sind die Schmerzen noch stärker geworden. Wer trotzdem weiterläuft, riskiert in wenigen Tagen das Training wegen zu starkem Schmerz abbrechen zu müssen.

Beim sogenannten Schienbeinkantensyndrom, oft auch englisch „shin splints“ genannt, handelt es sich um eine Überlastung der Knochenhaut. Orthopäde Dr. Ulrich Bader erklärt: „Die Knochenhaut überzieht den Knochen wie eine Hülle. An ihr sind Sehnen, Muskeln und Bänder befestigt. Beim Joggen kommt es nun zu Vibrationen und Stoßbelastungen im Bereich des Schienbeins. Knochen und Knochenhaut verschieben sich heftig gegeneinander. Dadurch kann die Knochenhaut gereizt werden, eine Entzündung entsteht.“ 

Verschiedene Ursachen kommen für die Erkrankung infrage – oft treten sie kombiniert auf:

Überlastung

Die häufigste Ursache für ein Schienbeinkantensyndrom ist Überlastung. „Das kann eine akute Überlastung sein wie eine plötzliche Steigerung der Trainingsintensität“, sagt Dr. Bader. „Oder eine chronische Überlastung wie ein wochen- oder monatelanges hohes Laufpensum.“

Tipp: Trainingsumfang und -intensität langsam steigern.

Verspannungen

Eine verspannte Muskulatur ist Gift für das Schienbein, da der Bereich ohnehin von Natur aus nicht so gut durchblutet wird.

Tipp: Vor dem Training immer gut aufwärmen. Genauso wichtig: Regelmäßig dehnen. Bei Laufsportarten wird ein lockeres Einlaufen mit sich direkt anschließendem kurzen dynamischen Dehnen empfohlen (Dehnen im nicht schmerzhaften Bereich mit kurzem Halten und raschen Verlassen dieser Position; dies mehrfach wiederholen).

Nach dem Laufen ist dann eher ein statisches Dehnen sinnvoll, also Halten der Dehnposition über einen längeren Zeitraum; aber immer im schmerzfreien Bereich! Dr. Bader betont: „Vor dem Laufen kann statischen Dehnen dagegen kontraproduktiv sein, da die Muskelspannung verringert wird und damit das Verletzungsrisiko sich sogar erhöhen kann!“

Harter Boden

„Häufig wird zu oft auf zu harten Untergründen – beispielsweise asphaltierten Straßen – trainiert“, sagt Dr. Bader. „Dadurch ist die Stoßbelastung für das Schienbein noch größer.“

Tipp: Am schonendsten für Knochen und Gelenke ist es natürlich, auf Park- und Waldwegen zu laufen. Im Winterhalbjahr geht das wetterbedingt nicht immer. Umso wichtiger ist dann gutes Schuhwerk.

Schlechte Sportschuhe

Eine große Rolle spielt schlechtes Schuhwerk. Dr. Bader: „Um schneller zu laufen, kaufen sich viele Läufer harte Sportschuhe. Dies ist für das tägliche Training nicht empfehlenswert.“

Tipp: Besser gut gedämpfte Laufschuhe benutzen. Dr. Bader: „Für Laufsportler, die an Wettkämpfen teilnehmen möchten, sind zwei verschiedene Paar Laufschuhe empfehlenswert. Ein paar gut gedämpfte für das regelmäßige Training und ein paar direktere für die unmittelbare Vorbereitung des Wettkampfs und den Wettkampf an sich.“

Fußfehlstellungen

Auch eine Fußfehlstellung wie ein Knick-Senk-Fuß oder ein Plattfuß kann die Ursache für die Beschwerden sein. „Sportler mit einem Knicksenkfuß knicken beim Laufen ein. Das falsche Auftreten führt zu einer Fehlbelastung der Schienbeinmuskeln“, sagt Dr. Bader. Bei einem Plattfuß wiederum, einem abgesenktem Fußgewölbe, muss der hintere Schienbeinmuskel vermehrt Haltearbeit leisten.

Tipp: Bei bekannter Fußfehlstellung mal einen Termin beim Orthopäden machen. Dr. Bader: „Besonders im Anfangsstadium kann sehr gut und einfach geholfen werden. Oft reichen individuell angepasste Einlagen – zum einen für die Sportschuhe, zum anderen für die Schuhe im Alltag.“

Schlechter Laufstil

Ein falscher Laufstil setzt eine Art Kaskade in Gang: Viele Läufer beugen sich beim Laufen zu weit nach hinten, dadurch verschiebt sich der Körperschwerpunkt. Um dann beim Joggen nicht ständig nach hinten gezogen zu werden, muss der Sportler dies mit den vorderen Muskeln im ganzen Bein ausgleichen.

Tipp: „Wer regelmäßig läuft und dabei Beschwerden hat, sollte unbedingt eine Laufbandanalyse machen“, rät Dr. Bader. „Denn nur so können fehlerhafte Bewegungsmuster erkannt und später beseitigt werden.“ Im Anschluss werden dem Läufer nicht nur Ratschläge für einen besseren Laufstil gegeben, sondern oft auch physiotherapeutische Übungen und Kraftübungen genannt.

Wichtig: Wer Schmerzen im Schienbein hat, sollte sich zeitnah vom Orthopäden untersuchen und beraten lassen. Denn eine baldige Behandlung ist beim Schienbeinkantensyndrom nicht nur wegen der Schmerzen notwendig, sondern vor allem auch um weiteren Schäden vorzubeugen. Denn hält die Überlastung an, können sich winzig kleine Brüche im Knochen, sogenannte Mikrofrakturen, bilden.

Die Therapie erfolgt in der Regel mehrgleisig:

Schonung. Das schmerzhafte Bein braucht Ruhe und sollte möglichst wenig bewegt werden. Joggen ist in den ersten zwei Wochen tabu. Bei einer leichten Ausprägung der Erkrankung reicht Entlastung als Behandlung manchmal sogar aus.

► Medikamente. Um die Schmerzen zu lindern und die Entzündung einzudämmen, erhält der Sportler nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAP). „Auch lokale Salben mit entzündungshemmenden Wirkstoffen können helfen“, sagt Dr. Bader.

► Kälte. Bei einer akuten Entzündung hilft Kälte gut. Einfach Kältebeutel oder Eisakkus mehrmals am Tag für einige Minuten auf die schmerzende Stelle legen. Achtung: Falls es zu kalt ist, ein Tuch dazwischen legen.

► Tapeverbände und „Shin Splint Sleeves“. Kompressive Tapeverbände oder kommerzielle Bandagen können die beanspruchten Areale entlasten.

► Physiotherapie. Der Läufer erlernt spezielle Übungen für die Waden, Füße und Hüfte, mit denen die Schienbeine entlastet beziehungsweise die Lauftechnik nachhaltig verbessert werden kann.

► Eigenblut-Plasmatherapie. Bei der Plasmatherapie, auch ACP-Therapie (ACP = Autologous Conditioned Plasma) genannt, handelt sich um körpereigene Wachstumsfaktoren, die speziell aufbereitet werden. „Die Eigenblut-Plasmatherapie nutzt die körpereigenen Wachstumsfaktoren im menschlichen Blut“, erklärt Dr. Bader. „Die Heilungs- und Aufbauprozesse im geschädigten Gewebe werden angeregt.“

Stoßwellentherapie. Die fokussierten, extrakorporellen Stoßwellen versetzen dem Gewebe einen „hochenergetischen Stoß“. Dies regt die Durchblutung und den Stoffwechsel an. So werden die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert.

Einlagen. Sind Fußfehlstellungen mit ursächlich für das Schienbeinkantensyndrom, verschreibt der Orthopäde meistens spezielle Einlagen.

Return to sport. Dr. Bader empfiehlt, erst mit dem Laufsport wieder zu beginnen, wenn die Schmerzen komplett weg sind: „Das Schienbein muss erst ausheilen bevor man mit dem Laufen wieder beginnen kann.“ Zwischenzeitlich ist eine Umstellung auf Rad- oder Schwimmsport als Alternative zum Erhalt der Kondition empfehlenswert.

Unser Experte: Dr. Ulrich Bader ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in der OrthoPraxis in Gräfelfing. Dr. Bader besitzt große Expertise in der konservativen und operativen Behandlung von Hochleistungssportlern und Freizeitsportlern. Mehr Infos: www.ortho-graefelfing.de

Autorin: Gabriele Hellwig

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Foto: New Balance

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