Mit dem Laufen anfangen und dranbleiben – bloß wie?

Man mag es in manchen Regionen zwar kaum glauben, aber es kommt: Das Laufwetter. Überall machen sich euphorische Gefühle breit. Spricht also nicht viel dafür, ein paar Laufschuhe anzuziehen und endlich mit dem Laufen anzufangen?

Mit dem Laufen anfangen und dranbleiben

„Es ist leicht, mit dem Laufen anzufangen. Ich habe es schon hundert Mal geschafft!“
(Frei nach Mark Twain)

Klare Antwort: Es spricht natürlich alles dafür, wenn man es bislang noch nicht getan hat. Dennoch ist die Idee, einfach so mal loszulaufen, um ab sofort Läuferin oder Läufer zu sein, doch eine, sagen wir mal, eher romantische Vorstellung. Leider war Romantik noch nie wirklich eine Garantie für ein gutes Ende.

Anders gesagt: Wenn man mit dem Laufen nicht nur anfangen, sondern vor allem auch mit Spaß dabeibleiben will, dann lohnt es sich, ein paar entscheidende Punkte zu beachten. Nun sind Laufzeitschriften und das Internet nicht gerade arm an „Lauftipps für Anfänger“. Ich möchte deswegen hier auch einige Gedanken zum Thema anbringen, die manchmal etwas in Vergessenheit geraten.

1: Zeit!

Es klingt wie eine Binsenweisheit, wird aber erstaunlich häufig übersehen: Ein vernünftiges „Zeitmanagement“ ist mitentscheidend dafür, ob Laufen zu einer dauerhaften Angewohnheit wird, oder nicht. Der Grund dafür ist eigentlich ganz einfach: Wenn man versucht, zwei- bis dreimal pro Woche eine zusätzliche Stunde fürs Lauftraining in einen bereits vollen Tagesablauf zu pressen, dann ist Scheitern quasi vorprogrammiert.

Für Menschen, deren Tage oder Wochen mehr oder weniger durchstrukturiert sind, lautet deswegen die simple, aber goldene Regel: Wenn ich etwas Neues anfangen will, muss ich irgendetwas Altes sein lassen.

Es ist also sehr sinnvoll, sich vorher zu überlegen, was man ganz bewusst reduzieren kann, um die so gewonnene Zeit ins Laufen zu investieren. Dafür bieten sich natürlich besonders jene Tätigkeiten an, die bei Licht besehen sowieso eher in den Bereich „Zeit totschlagen“ fallen, also fernsehen, im Internet surfen, Social Media durchforsten usw. Auch das Ersetzen beispielsweise von regelmäßigen Kneipenbesuchen durch Laufeinheiten hat gleich mehrere positive Effekte (kein Alkohol, frische Luft, Bewegung).

Weniger zu schlafen, um stattdessen zu laufen, ist dagegen definitiv nicht zu empfehlen. Dadurch macht man die gesundheitsfördernde Wirkung des Laufens unter Umständen gleich wieder zunichte. Denn Schlaf ist und bleibt nun mal die wichtigste und wirkungsvollste Form der Regeneration.

2: Gesundheit!

Wer wirklich ernsthaft vorhat, mit dem Laufen anzufangen, vorher aber ausdauersportlich ehrlicherweise eher unterbelichtet war, der oder die sollte einen Medizincheck nicht scheuen. Bei Jüngeren kann er definitiv nicht schaden, für Ältere (und „älter“ fängt leider spätestens ab 50 an) ist ein solcher Check ein Muss. Denn es gibt einfach Dispositionen, Vorbelastungen oder gar Vorerkrankungen, von denen man nichts ahnt.

Noch mehr als bei gesunden Läuferinnen und Läufern geht es dann darum, das richtige Maß für den Einstieg zu finden. Ein zu hoher Blutdruck etwa, den man in der Regel selbst nicht bemerkt, ist ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor – aber kein Grund, nicht zu laufen.

Im Gegenteil: Ausdauersport wirkt sich auch bei Hypertonikern erwiesenermaßen positiv aus. Aber gerade am Anfang müssen bei ihnen gesundheitsschädliche Belastungsspitzen unbedingt vermieden werden. Denn die können auch mit Blutdruckspitzen einhergehen, und das ist alles andere als gesund.

3: Ziele (und Träume)

Es ist selbstverständlich gut, sich als Laufanfängerin und -anfänger Ziele zu setzen. Dabei sollten Wunsch und Wirklichkeit aber möglichst wenig auseinanderklaffen, denn sonst ist die Chance groß, sich im ersten Elan zu überfordern – und damit auch nachhaltig zu frustrieren.

Wenn ich als Anfänger etwa insgeheim mit dem Bezwingen der Halbmarathon-Distanz liebäugele, dann ist das fürs Erste kein realistisches Ziel, sondern ein schöner Traum. Damit ein erreichbares Ziel daraus werden kann, muss vorher sehr viel passieren. Ich muss etwa über ein bestimmtes Minimum an Ausdauer verfügen, um überhaupt mit einem gezielten Halbmarathon-Training beginnen zu können, sonst komme ich nicht besonders weit.

Welche Ziele für Anfänger und -innen realistisch sind, hängt allerdings sehr stark von der individuellen Ausgangsverfassung ab. Während die einen z.B. nach ihren ersten vier Laufeinheiten vielleicht schon zwanzig Minuten langsam durchlaufen können, kriegen andere nur zehn Minuten oder noch weniger hin. Beides ist aber vollkommen in Ordnung für Menschen, die vorher überhaupt nicht gelaufen sind.

Ein wunderbares Beispiel dafür ist übrigens Ex-Außenminister Joschka Fischer. Als er mit dem Laufen begann, wog er 110 Kilo und konnte nach eigener Aussage laufenderweise keine 400 Meter zurücklegen. Zwei Jahre später (und eine Woche nach seinem 50. Geburtstag) war er 36 Kilo leichter und lief den Hamburg-Marathon in 3:41:36. Dazwischen lag die Erreichung vieler kleiner Ziele – Zwischenstationen, ohne die er seinen Traum vom Marathon nie hätte verwirklichen können.

4: Lauftechnik ist wichtig (und ist nicht gleich Laufstil!)

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird oft vom Laufstil gesprochen, wenn die Rede davon ist, wie jemand läuft. Das ist etwas misslich, weil es suggeriert, es handele sich um etwas gleichsam Unabänderliches, weil es individuell und sozusagen angeboren ist.

Nicht umsonst heißt es ja häufig „Stil kann man nicht lernen.“ Ob das stimmt oder nicht lassen wir mal dahingestellt. Was man auf jeden Fall lernen kann, ist eine optimale technische Ausführung oder eben in unserem Fall: Eine gute Lauftechnik.

Mein persönlicher Eindruck – nach vielen Hunderten Trainingsstunden in freier Wildbahn – widerspricht der landläufigen Meinung, laufen könne doch jeder einfach so, weil man es als Kind ja schließlich gelernt hat.

Es stimmt zwar, dass kleine Kinder meistens geradezu perfekt laufen. Leider verlernen sie ihre natürliche Technik aber im Verlauf des Älterwerdens. Und so kommt es, dass – jedenfalls nach meiner Einschätzung – mindestens 75 Prozent aller Freizeit-LäuferInnen besser laufen könnten, wenn sie (wieder) eine vernünftige Technik lernen würden.

Besser heißt: Laufen mit weniger Anstrengung und Belastung für die Gelenke, also schonender für den gesamten Körper – wodurch man automatisch weniger Gefahr läuft, sich zu verletzen oder zu überlasten. Was zur Folge hat, dass man, je nach Gusto, ohne Schwierigkeiten z. B. schneller oder länger laufen kann.

Ein Lauftechnikkurs kann also gerade am Anfang eine sehr sinnvolle Investition sein. Man muss nicht unbedingt warten, bis man sich eine Verletzung angelaufen hat.

mit dem Laufen anfangen und dranbleiben

5: Laufen heißt (auch) Gehen!

Dass das chinesische Sprichwort „Willst Du schnell sein, gehe langsam“ auf Laufanfänger gemünzt war, ist eher zu bezweifeln, es passt aber ausnehmend gut zum Thema. Denn gerade in der Anfangsphase ist der Wechsel von Laufen und (zügigem) Gehen ausgesprochen empfehlenswert und garantiert stetige Fortschritte. Man beugt dadurch einseitiger Überlastung vor, weil beim Gehen teils andere Muskelgruppen beteiligt sind.

Erwiesenermaßen ermüdet die Muskulatur weniger schnell, das Verletzungsrisiko sinkt, weil die Belastung – unter anderem für Gelenke und Herz – immer wieder zurückgefahren wird. Das wiederum kann auch die notwendige Erholungsphase nach dem Training verkürzen. Trotzdem ist vor allem für AnfängerInnen das Training mit „Gehpausen“ keinesfalls weniger effektiv, als wenn man stur durchläuft.

Dass „Walk and Run“ sich übrigens auch für erfahrene Läufer und Läuferinnen empfiehlt, vor allem wenn sie zu den „älteren Semestern“ gehören, haben inzwischen diverse Studien gezeigt. Teilnehmende berichteten, dass sie vor allem nach langen Läufen weniger Muskelermüdung verspürten. Und überraschenderweise zeigte sich auch, dass sich z. B. auf der Marathondistanz die Zeiten von „Walk-Runnern“ nicht unbedingt von denen der „Durchläufer“ unterschieden, da Letztere kontinuierlich langsamer wurden.

6: Bewusst nicht laufen!

Ein häufiger Irrtum, nicht nur bei Laufanfängern, besteht darin, Laufpausen zu unterschätzen. Das ist durchaus verständlich, denn schließlich tut man ja nichts. Könnte man meinen. In Wirklichkeit aber finden körperliche Fortschritte nicht vorrangig während der Trainingseinheiten, sondern vielmehr in den anschließenden Ruhe- bzw. Regenerationsphasen statt.

Besonders nach einer anstrengenden Sporteinheit ist es wichtig, sich ausreichend, also mindestens zwei Tage, Ruhe zu gönnen – ggf. auch noch länger. In dieser Zeit erholt sich die zuvor beanspruchte Muskulatur nicht nur, sie wird als Reaktion auf den Trainingsreiz auch gestärkt.

Unterbricht man diesen Prozess zu früh, bleibt nicht nur ein Trainingsfortschritt in der Regel aus, es kann in der Folge auch z. B. zu höherer Anfälligkeit für Infekte und zu allgemeiner körperlicher Abgeschlagenheit kommen. Wer von Null an mit dem Laufen beginnt, kommt naturgemäß sehr schnell an seine Grenzen. Gerade dann ist es wichtig, nicht dem Prinzip „Viel hilft viel“ auf den Leim zu gehen, denn das Gegenteil ist der Fall.

„Sich Ruhe gönnen“ heißt allerdings nicht zwangsläufig, es sich auf der Couch gemütlich zu machen. Gegen ergänzende körperliche Betätigungen wie etwa Yoga-, Pilates- oder lockere Schwimm- und Radeinheiten ist nicht nur nichts einzuwenden, sie sind sogar sehr empfehlenswert.

Mit dem Laufen anfangen und dranbleiben

7: Zipperlein? Vielleicht einfach weglaufen!

Die Aufforderung, man möge auf seinen Körper hören, ist überall zu lesen. Insbesondere, wenn Schmerzen auftreten, wird zu größter Vorsicht gemahnt. Vollkommen richtig. Aber bedeutet das wirklich, sich permanent selbst zu scannen, und, wenn es mal irgendwo zwickt, sich umgehend in Watte zu packen und einen Arzt zu konsultieren?

Natürlich ist es absolut wichtig, die Signale seines Körpers wahrzunehmen, zu deuten und sich dann entsprechend zu verhalten. Das bedeutet aber auch, zu unterscheiden zwischen kleineren „Zipperlein“ und jenen Schmerzen, die womöglich auf eine ernstere Verletzung oder eine schwerwiegende Fehlbelastung hindeuten.

Moderate (!) Bewegung kann zweifellos ein erstaunlicher Heiler sein. Insbesondere vielerlei (Rücken-)Verspannungen lassen sich tatsächlich sanft weglaufen, ebenso z.B. leichte Kopfschmerzen (inkl. Verkaterung). Und auch ein schnöder Muskelkater kann durch ein regeneratives Läufchen ungemein besser werden bzw. verschwinden.

Anders sieht es selbstverständlich bei Schmerzzuständen aus, die sich etwa an Sehnen und Gelenken bemerkbar machen, die schlagartig auftreten, oder auch bei solchen, die sich erst unter Belastung einstellen und dann stärker werden. Hier versteht sich von selbst, dass nicht nur eine Laufpause sinnvoll ist, sondern, je nach Schwere, auch an einem Arztbesuch kein Weg vorbeiführt.

8: Ritualisierung

Ganz gleich, was man sich neu angewöhnen möchte: Rituale helfen dabei ungemein. Es erfordert wenig Zeit und Aufwand, sie zu etablieren, und sie helfen, sich auf das zu fokussieren, was man tun möchte, was aber noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist. Mit Ritualen hilft man sich also selbst auf die Sprünge. Und weist den inneren Schweinehund in seine Schranken.

Feste Lauftermine, die man mit Freundinnen und Freunden oder auch nur mit sich selbst fest vereinbart und entsprechend ernst nimmt, gehören dazu. Sich die Klamotten für den morgendlichen Lauf bereits am Vorabend zurechtzulegen, ist sehr hilfreich. Ebenso ist der abendliche Blick auf die Wetter-App eine gute Idee, um nicht von Regen o.ä. überrascht zu werden. (Damit einhergehen muss natürlich der feste Entschluss, sich keinesfalls von irgendeinem Wetterphänomen vom Laufen abhalten zu lassen.)

Auch diesen Entschluss zu fassen, kann ein Ritual sein – außerdem ist man schließlich nicht aus Zucker und kann sich zuhause ja wieder trockenlegen. Vor dem Einschlafen eine kleine Visualisierung, wie man sich am nächsten Morgen gut gelaunt auf den Weg macht, eine spezielle Tasse oder ein Glas für den Kaffee, Tee oder Saft, den man vor der Laufeinheit zu sich nimmt, was auch immer es ist, es hilft. Und der eigenen Fantasie sind beim Erfinden keine Grenzen gesetzt.

Verbunden mit dem festen Vorsatz, das alles für mindestens 12 Wochen durchzuhalten, sind solche Rituale praktisch eine Garantie dafür, dass man sein Ziel erreicht. Und auch dabeibleibt.

Autor: Christoph Falkenroth

Fotos: Christian Liekmeier

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Läuferknie und Sport-BH

Christoph Falkenroth ist unter anderem passionierter (Ultra-)Läufer und Autor des launigen Lauflexikons „Läuferknie und Sport-BH“, das im Februar dieses Jahres erschienen ist (Kampenwand Verlag, ISBN 9783986600532).

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