Stress reduzieren durch ausdauerndes Laufen
Dieter Bremer widmet sich dem Thema Mentaltraining im Ausdauersport und beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen von Ausdauertraining und Stressreduktion, wie sie bisher noch niemand beschrieben hat.
Ausdauertraining und Stressreduktion
Einem regelmäßigen Ausdauertraining wird seit langem eine „stressreduzierende Funktion“ zugeschrieben und zwar in mehrfacher Hinsicht:
- Die Trainingsreize eines regelmäßigen Ausdauertrainings wirken prophylaktisch dämpfend auf solche Funktionssysteme ein, die in Stresssituationen ungewollt ausschlagen, solche Funktionssysteme sind der Herzschlag, die Atmung, der Blutdruck, die Schweißproduktion, … (Physische Komponente)
- Die Trainingsreize einer einzelnen Einheit können aktuelle „Stressreaktionen“ dämpfen, in dem durch die ausdauersportliche Betätigung „Abstand“ von als stressauslösend empfundenen Situationen, Wahrnehmungen und Bewertungen gewonnen wird.
- Ausdauertraining ist auch ein anerkannter und integraler Bestandteil aller Therapieformen, die für Burn-Out gefährdete oder davon schon betroffene Personen entwickelt worden sind. Speziell gilt die Veränderung der Trainingsgewohnheiten bei regelmäßig sportreibenden Personen, die nicht aus anderen Gründen bedingt ist, sondern die spontan oder schleichend erfolgt, schon als ein erstes Achtsamkeitssignal für ein sich anbahnendes Burn-Out.
Laufanfänger aber auch erfahrene Läufer neigen aber generell dazu, sich in ihrem ausdauersportlichen Training zu intensiv zu belasten. Das Ausdauertraining verliert dadurch seine stressreduzierende Funktion und wird selber zu einem Stressor, indem der Ausdauersportler in gutgemeinter Absicht, einen positiven Gesundheitsakzent zu setzen, sich zu intensiv belastet, oder sich unrealistische Ziele in Bezug auf seine potentielle Leistungsfähigkeit im Wettkampf setzt. Laufen wird dann spätestens zum Stress.
Ausdauertraining ist also nicht an sich „stressreduzierend“, sondern es muss so strukturiert werden, dass die „stressreduzierenden Effekte“ auch tatsächlich eintreten.
Dazu sind eine entsprechende Belastungsgestaltung in Bezug auf Umfang und Intensität des Trainings, eine entlastende und nicht durch Fehlbelastungen stressende Lauftechnik und ein Trainingsbelastungen abfederndes und unterstützendes Begleittraining notwendig.
Beim ausdauernden Laufen unterscheidet sich die Lauftechnik der Spitzenathleten und technisch gut ausgebildeter Breitensportler, die allerdings eine sehr kleine Minderheit darstellen, in wesentlichen Punkten von der Lauftechnik der vielen Breitensportler. Für letztere gilt die provozierende Frage von Prof. Brüggemann von der Sporthochschule Köln „Ist der Jogger von heute der Gelenkpatient von morgen?“
Die Lauftechnik der Spitzensportler ist gelenkschonend, ökonomisch und effektiv. Die diese Merkmale auszeichnende Technik kann auch interessierten Breitensportlern und Laufanfängern in kurzer Zeit vermittelt werden. Ausdauerndes Laufen beginnt daher mit der Vermittlung einer mehr frequenz- denn schrittlängenorientierten Lauftechnik, der Betonung körpereigener Dämpfungssysteme statt sich auf die unzureichend dimensionierten künstlichen Dämpfungssysteme in den Schuhen zu verlassen und der Herausstellung der biomechanischen Antriebsquellen, die tatsächlich den Läufer im wahrsten Sinne des Wortes „vorwärts“ bringen. Wenn Laufen in diesem Sinne vermittelt wird, dann stellt es keine Last dar, die durchaus Stress induzieren kann, sondern Laufen wird zur Lust, die bei richtiger Dosierung „stressreduzierend“ wirkt.
Stressmanagement und Ausdauertraining
In einem strukturierten Ausdauertraining stellt der Wechsel von Belastung und Erholung eine wesentliche Steuerungsgröße dar. Dabei wird die Erholung (=Regeneration) umso gewichtiger, je mehr die Belastung in Umfang und Intensität zunimmt. Die Qualität der Regeneration und damit auch die Belastungsfähigkeit hängen von vielen Faktoren ab. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind zu nennen Ernährung, Schlaf, physiotherapeutische Maßnahmen, Alter, Gestaltung des Cool-Down am Ende einer Trainingseinheit oder eines Wettkampfes, Dehnungsprogramme, …
Zur physischen Regeneration können aber auch Methoden des Stressmanagements gezielt und regenerationsfördernd eingesetzt werden:
- PMR zum Abbau der durch das Training angespannten und verspannten Muskulatur,
- Atem-Entspannung zur Beruhigung und Dämpfung der nach Trainingsbelastungen noch überaktiven Funktionssysteme des Herz-Kreislaufsystems und der Atmung und
- Autogenes Training, das nicht nur die physische Regeneration sondern auch insbesondere die psychische Regeneration fördert.
Ein gezieltes Stressmanagement trägt zur Effektivität des Ausdauertrainings unterstützend bei, so dass hier eine Wechselwirkung von Ausdauertraining und Stressmanagement besteht: Ausdauertraining ist palliativ-regeneratives Stressmanagement und andere Formen des palliativ-regenerativen Stressmanagement erhöhen die Wirksamkeit des Ausdauertrainings. Stressmanagement als Bestandteil des Ausdauertrainings kann aber auch dazu beitragen, in Wettkämpfen die Leistungsfähigkeit optimieren.
Stressmanagement und Wettkampf
Es ist im Hochleistungsbereich seit längerem verbreitetet, neben dem physischen Training und der spezifischen Technikausbildung, auch psychische Aspekte in einen erfolgsorientierten Trainingsprozess einzubeziehen, wobei diese angesichts sich mehr und mehr angleichender physischer Leistungsfähigkeiten zunehmend über Erfolge oder Misserfolg im Wettkampf entscheiden.
Dazu dienen Visualisierungen als ideomotorisches Training zur Festigung der Bewegungsmuster und das mentale Training zur Vermittlung einer Siegermentalität. Besondere Beachtung gilt dabei auch der „Vorwettkampfphase“, um nicht nur durch die körperliche sondern auch durch die psychische Vorbereitung ein optimales Aktivierungsniveau herzustellen.
Der Wettkampf selber stellt im Hochleistungsbereich eine extreme „Stresssituation“ dar. Da bereiten sich Sportler über Jahre auf einen olympischen 100m Lauf vor, der gerade einmal 10 Sekunden dauert, oder man versetze sich in die Lage eines Elfmeterschützens in einem entscheidenden Abstiegsduell der Fußball – Bundesliga, in dem ein einziger Schuss über zweistellige Millionenbeträge entscheidet.
Im Bereich der Ausdauersportarten mit ihren inzwischen überlangen Wettkampfstrukturen (Marathon, IRONMAN-Triathlon, „Race across …..“, Wasa-Lauf, … ) werden sogenannte „Coping-Strategien“ in der Vorbereitung erlernt und im Wettkampf selber eingesetzt, wobei der Fokus auf der Selbstgesprächsregulation und Visualisierungen liegt.
Da auch Breitensportler in ihren sportlichen Ambitionen sich an immer längere und anspruchsvollere Aufgaben heranwagen, bekommt das regenerative Stressmanagement auch für diese Zielgruppe eine zunehmende Bedeutung.
Ohne eine entsprechende mentale Einstellung und Vorbereitung ist ein Triathlon oder ein Marathon kaum zu bewältigen. Es geht dabei nicht um „Siegermentalität“ sondern um „Finishermentalität“, denn die Wettkampfdauer kann für diese Zielgruppe mehr als doppelt so lang gegenüber den Spitzenathleten sein.
Wenn auch Hochleistungssportler und die an breitensportlich orientierten Wettkämpfen über überlange Wettkampfstrecken teilnehmenden Sportler nicht zur Zielgruppe dieser Veranstaltung zählen, gilt dennoch, dass auch der Beginner, wenn er sich an erste kleinere Wettkämpfe wagt, von erlernten Stressmanagementtechniken profitieren wird, u.a. um seine „Vorwettkampfnervosität“ zu dämpfen.
Weitere Wechselwirkungen zwischen Ausdauertraining und Stressmanagement
Es gibt weitere Wechselwirkungen zwischen Ausdauerndem Laufen und Stressmanagement, die aber weitgehend nicht beachtet werden. Diese sind:
Die Fuß- und Knieposition
In der Lauftechnik bauen wir einen fersenorientierten Fußaufsatz mit nahezu gestreckten Kniegelenk wegen der damit verbundenen orthopädischen (Fehl-) belastungen ab und entwickeln einen mittelfußorientierten Fußaufsatz mit dämpfungsbereit leicht gebeugten Kniegelenk.
Mittelfußstand und natürlich gestreckte (also aus der Innensicht leicht gebeugte) Kniegelenke sind aber ein wesentliches Merkmal physischer Stabilität, denn bei Mittelfußbelastung ist der Stand gleichgewichtiger und damit stabiler als bei Fersenbelastung. Bei Mittelfußbelastungsgilt: „Mich bringt nichts aus dem Gleichgewicht“ und das hat dann auch mit psychischer Stabilität zu tun.
Die Atmung
Im Stressmanagement geht es auch um Atementspannungstechniken, die im Wesentlichen darauf abzielen, die Atmung zu beruhigen und in denen die tiefe oder Bauchatmung über die Brustkorbatmung dominiert. Gleiches gilt auch für die guten Ausdauersportler, die alle den für die Leistungsfähigkeit so entscheidenden Sauerstofftransport über die Atmung optimieren. Aus diesem Grunde wird in diesem Konzept neben Atementspannungstechniken auch die optimale Atmung beim Laufen vermittelt, wobei durch Fokussierung auf die „tiefe“ Atmung hier eine gegenseitige Wechselwirkung erzielt wird.
Sprache und Körpersprache
Für viele stellen Auftritte vor Zuhörern, sei es bei einer Präsentation oder sogar „nur“ bei einem Meeting mit Kollegen, in denen die eigene Position vorgestellt und verteidigt werden müssen, extrem belastende und dadurch auch stressinduzierende Situationen dar. Um dies zu vermeiden und um in seinen Botschaften überzeugend zu wirken, gilt es in allen „öffentlichen“ Auftritten die Kongruenz von Botschaft, Sprache und Körpersprache herzustellen. Nur wenn Sprache und Körpersprache zur Botschaft passen, kann eine Botschaft auch überzeugend wirken.
Die Qualität der Sprache als Lautstärke, Resonanz und Modulation wird ganz wesentlich von der Schulter- und Kopfposition bestimmt und damit auch von der gesamten Rumpfspannung, die darüber entscheidet, ob der Brustkorb frei und nicht eingeengt wird.
Ein eingeengter Brustkorb mindert die Qualität der Sprache und behindert auch die Körpersprache. Gleiches gilt für die Kopfposition, die auch dafür verantwortlich ist, ob Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen ausgestrahlt wird.
Kopfposition, Schulterposition und Rumpfspannung sind aber zentrale Merkmale einer optimalen Lauftechnik, so dass auch hier eine gegenseitige Wechselwirkung erzielt.
Wenn ich mich bei einer Präsentation so hinstelle wie ich laufe, also aufrecht, mit einer leichten Spannung der Schultern nach hinten, den Kopf auf die Wirbelsäule aufsetze und wie beim Laufen die Knie nicht überstrecke, dann stimmen Sprache und Körpersprache automatisch.
Nach 20 Jahren Erfahrung mit ca. 2.500 Läufern, die durch meine Marathonprojekte ihren ersten Marathon erfolgreich gefinisht haben, behaupte ich ohne empirische Beweisführung „Laufen verändert die Persönlichkeit“.
Ein Marathonfinisher ist durch seine disziplinierte sechsmonatige Vorbereitung und seinen Finishererfolg selbstbewusster, extrovertierter und könnensbewusster geworden.
In diesem Sinne liefert Laufen auch einen Beitrag zum instrumentellen Stressmanagement, indem potentielle Stressoren gerade im „öffentlichen Auftretensbereich“ – und der beginnt schon bei einem Meeting im Büro – als weniger belastend oder sogar als nicht belastend sondern herausfordernd eingeschätzt werden.
Autor: Dieter Bremer