„Ich bin mit 44 Jahren fitter als in meinen 20ern!“
Abenteuer Trailrunning für Frauen: Ein Interview mit Anna Hughes
Anna Hughes ist zweifache Mutter, leidenschaftliche Läuferin, Buchautorin und Coach. Sie hat verschiedenste Trailrunning-Wettkämpfe bestritten, gewann zum Beispiel 2022 den Wüsten-Ultramarathon Ultra Mirage mit neuem Streckenrekord und hilft als Trainerin Menschen, fitter und selbstbewusster zu werden. Warum sie mit 44 Jahren in der Form ihres Lebens ist, wie sie es schaffte, ohne Erfahrung 250 Kilometer durch eine Wüste zu rennen und welche Tipps sie allen Trailläuferinnen (und denen, die es noch werden wollen) mit auf den Weg geben möchte, erfährst du in diesem Interview.
RUNTiMES: Anna, du bist 44 Jahre alt und fühlst du dich noch fitter als in deinen 20ern und 30ern. Das kann nicht jeder Ultraläufer von sich behaupten. Was ist dein Erfolgsrezept, dass du heute so fit bist?
Anna: „Ich habe kein konkretes Erfolgsrezept dazu. Vielmehr habe ich durch einige Übertreibungen und daraus resultierenden Verletzungen im Training vor vielen Jahren erfahren, dass der Körper kein Roboter ist und es oft, gerade im Ultra Trailrunning, ein schmaler Grat sein kann, wenn man den Bogen überspannt. Mein Ziel ist immer, langfristig, also auch noch mit 50,60,70 Jahren laufen zu können, und entsprechend knalle ich mein Jahr nie nur mit Training und Wettkämpfen voll, sondern höre viel auf meinen Körper und passe das Training dann entsprechend an. Meine Mutter ist da auch in gewisser Weise mein Vorbild. Sie ist 70 und läuft immer noch locker mehrmals in der Woche, mit gesunden Knochen.
„Der Körper ist kein Roboter!“
Aber das Leben hier in Tunesien, direkt am Mittelmeer, ist natürlich auch deutlich entspannter, als es vorher in Deutschland war. Ich war 19 Jahre lang für meine Töchter da, musste Jobs, Haushalt und das Training oft allein schwingen. Nun sind sie erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Da entstand statt “empty nest” plötzlich wieder Raum für Neues. So entschied ich, mit ein paar Reisetaschen, Hund und Auto nach Tunesien überzusiedeln. Das warme Klima tut meinem Körper sehr gut. Gerade beim Laufen merke ich weniger Anfälligkeiten für Verletzungen. Auch das viele Tageslicht nährt das Wohlbefinden. Mit fast Mitte 40 kann ich sagen: Ich fühle mich wohl und bin zufrieden, auch wenn nicht alles perfekt ist.
In Sachen Ernährung habe ich über die ganzen Jahre im Laufsport schon vieles ausprobiert und bin auch da seit ein paar Jahren deutlich entspannter geworden. Ich esse mehr nach Gefühl – ohne mich einzugrenzen oder auf etwas zu verzichten. Nach fast 30 Jahren als Vegetarierin habe ich vor ein paar Monaten mal wieder ein Stück Hühnchen probiert und war begeistert. Seitdem esse ich das etwa einmal pro Woche, einfach weil es schmeckt und mir guttut. Ich achte darauf, nicht allzu viel Zucker zu essen und auch bei Alkohol nicht zu übertrieben. Eine gewisse Selbstkontrolle ist schon angebracht, gerade wenn ich im Training auch Leistung abrufen will.“
RUNTiMES: Was war dein schönstes, und was dein lehrreichstes oder schwierigstes Erlebnis als Frau bzw. Sportlerin?
Anna: „Das schönste gibt es so gar nicht. Jeder Lauf bzw. Wettkampf hat etwas an sich, das man nie vergisst. Letzten Sommer habe ich mein erstes eigenes Laufprojekt realisiert und bin als erste Frau der Welt über Nordafrikas größten Salzsee gelaufen. Das waren 70 km über sehr schwierigem Untergrund, nachts, ohne Markierung, Verpflegungspunkte. Alles war herunter reduziert auf das Wesentliche. Das hat etwas sehr Schönes gehabt.
2018 lief ich bei der Ultra Tour Monte Rosa die 100 km mit fast 7000 Höhenmetern und war eigentlich gut vorbereitet. Doch im Wettkampf stellte sich schnell heraus, dass es sehr zäh werden würde. Ich schleppte mich fast nur mit mentaler Kraft über die Strecke und lernte aus einigen Fehlern, die immer noch passieren, auch wenn man meint, schon viel Erfahrung zu haben. Das war gleichzeitig auch das schwierigste Erlebnis.
Auch der Marathon des Sables, den ich 2008 lief, war sehr schwierig und lehrreich. Da muss schon viel passen, damit ein Finish gelingen kann. Aber ich ziehe meine Sachen immer durch.“
RUNTiMES: Wie kamst du auf die Idee, nach nur einem Straßenmarathon beim Marathon des Sables mitzumachen – ohne Erfahrung 250 Kilometer durch Sand in 6 Etappen zu rennen, das ist schon ein bisschen wahnsinnig, oder?
Anna: „Ende der 90er Jahre lief auf Eurosport eine Reportage über den Marathon des Sables. Ich erinnere mich, dass ich bei den Bildern von den Läufern und der Landschaft sofort angefixt war und wusste: Das mache ich eines Tages. Das dauerte dann 9 Jahre. Dazwischen bekam ich zwei Kinder, machte ein paar Triathlons, aber blieb dem Laufen immer treu. Auch wenn es verrückt klingt, ich hatte immer nur die lange Etappe beim MdS im Kopf und wollte wissen, wie das ist, wenn man über 70 Kilometer am Stück läuft. Dass sich nach dem Finish so viele Türen in die Welt der Ultramarathons öffnen würden, mit damals Ende 20, konnte ich vorher so nicht absehen.
„Mit mentaler Kraft kann man viel bewegen.“
Der Lauf hat viel verändert. Zum einen habe ich erfahren, dass man mit mentaler Kraft viel mehr bewegen kann, als der Körper im ersten Moment herzugeben scheint. Und auch als Frau habe ich erkannt, dass da eine Stärke in mir steckt, von der ich vorher nichts wirklich wusste. Diese Erfahrungen dort in der Wüste sind oft eine Metapher fürs Leben. Wie manage ich mich selbst? Wie gehe ich im Leben mit Herausforderungen um? Was passiert, wenn es mal nicht wie geplant läuft? Die Unwägbarkeiten in einem Ultramarathon sind gleichzeitig auch immer die Unwägbarkeiten, wie sie einem im Leben passieren.“
RUNTiMES: Du hast ein Buch geschrieben mit dem Titel „Trailrunning für Frauen“, was macht die Bedürfnisse und Trainingsumstände und Voraussetzungen bei Frauen besonders und was denkst du, wird oft von Frauen manchmal über- oder unterschätzt? („Trailrunning für Frauen“ bei Amazon kaufen*)
Anna: „Die Bedürfnisse sind dahingehend anders, dass wir in der Regel einem Zyklus unterliegen und es je nach Frau sehr unterschiedlich sein kann, wie man trainieren kann und was man dann auch gut wegsteckt. Frauen haben meist weniger das Bedürfnis, sich immer mit anderen zu messen und sind nicht so Leistungsgetrieben. Sie wollen sich auch verbessern, aber sind weniger verbissen. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, ich meine hiermit uns ganz normale Frauen, die nicht Profis sind und einem geregelten Leben nachgehen, oft viele Verpflichtungen und Aufgaben unter einen Hut bekommen müssen.
Überschätzt wird oft, dass man nach einer Schwangerschaft schnell wieder auf die Beine kommt. Das braucht wirklich Zeit. Bei mir dauerte beispielsweise die Rückbildung nach den Schwangerschaften jeweils fast ein Jahr. Durch Social Media wird leider oft suggeriert: Baby gebären, eine Woche später wieder auf einen Berg laufen. Fatal.
Eine gute Voraussetzung fürs Ausdauerlaufen bringen wir durch einen erhöhten Fettanteil im Körper mit, was uns befähigt, wirklich sehr lang unterwegs sein zu können und so manchen Mann hinter uns zu lassen. Frauen dürfen sich ruhig mehr zutrauen.
Unterschätzt wird oft, was man im Laufen über längere Zeit aufbauen kann, statt zu kurzfristig zu denken.“
RUNTIMES: Wie trainiert man für einen Traillauf, wenn im Umkreis alles flach und asphaltiert ist?
Anna: „Durch spezifische Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, auch ein paar Tools wie Band, Kurzhanteln, Medizinball. Treppen gibt es überall, also Parkhäuser, mehrstöckige Wohnhäuser oder Stadien nutzen. Und von den rund 40 Mittelgebirgen in Deutschland gibt es in den meisten Fällen die Möglichkeit, mal ein Wochenende dort zu verbringen, um sich beispielsweise auf einen Traillauf vorzubereiten. Improvisation und Kreativität sind da an manchen Stellen gefragt.“
„Kein Trailläufer fällt vom Himmel!“
RUNTiMES: Wie bekommt man mehr Sicherheit auf den Trails und wird auch im Downhill stärker?
Anna: „Sicherheit bekommt man durchs Tun – also sich gewissen Terrains auch bewusst auszusetzen. Kein Trailläufer fällt vom Himmel. Üben, üben und üben. An der Sache dranbleiben, kleine Skills entwickeln, sich mit der Technik im Uphill und Downhill beschäftigen, und auch mal an einem Trailrunning Camp teilzunehmen kann helfen.
Downhill Running ist ein Mix aus Technik und Kopf. Auch das eine Übungssache. Mit kleinen Abschnitten anfangen, sicherer werden, dann immer weiter ausbauen. Wer oft genug etwas wiederholt, kann nur besser werden.“
RUNTIMES: Was braucht man als Frau alles, um gut fürs Abenteuer Trailrunning ausgestattet zu sein?
Anna: „Etwas Abenteuerlust, Neugier, die Bereitschaft, sich auf die Natur neu und anders einzulassen. Gute Schuhe mit Profil, etwas zu trinken, einen kleinen Snack und schon kann es losgehen.“
Fotos: Anna Hughes
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