Läuferparty im Schnee
Der 19. Swiss Snow Walk & Run in Arosa
Mit kurzen Schritten arbeite ich mich nach oben. Die Trailschuhe mit Stahlnoppen an den Sohlen beißen sich in den Schnee. Aber die bestens präparierte Piste ist so griffig, dass sie auch mit normalen Laufschuhen bewältigt werden kann. Die Sonne hat sich mittlerweile gegen die düsteren Schneewolken durchgesetzt, die weiter unten immer noch durch das Tal wabern. Im hellen Licht erscheint die Bergkulisse gewaltiger denn je und erzeugt eine zauberhafte Stimmung.
Das satte Alpenpanorama mit einer ganzen Galerie von Eis- und Schneeriesen, die vor dem tiefblauen Firmament in der Sonne glänzen, berauscht die Sinne. Eine friedliche, meditative Stimmung, die einfach nur glücklich macht und die Strapazen zu einem belanglosen Beiwerk degradieren.
Winterzauber pur, auch wenn es kitschig klingt
Laufen im Schnee, mitten in den Alpen, dazu im Winter, und auch noch auf einen 2.000 m hohen Berg. Ja, so etwas gibt es, bei einem einzigartigen Veranstaltungsformat im schweizerischen Graubünden. Und das schon seit 13 Jahren. Knackige Minus 12° Celsius und diesiges Winterwetter herrschten in Arosa zur 19. Auflage des Swiss Snow Walk & Run am 21. Januar 2023. Ursprünglich als Walking-Event konzipiert, wurden im Jahre 2009 erstmals Testläufer zugelassen.
Der Reiz, im 1.700 Meter hoch gelegenen Arosa durch eine tief verschneite Berglandschaft zu rennen, lockte in der Folgezeit immer mehr Läufer aus dem In- und Ausland nach Graubünden. Mittlerweile stellen die Freunde der Laufkunst das Gros der Teilnehmer, neben Walker, Nordic Walker, Schneeschuhläufer und einem Kinderlauf.
Königsdisziplin auf den 5 Distanzen zwischen 6.1 Kilometern und Halbmarathon ist der Weisshorn Snow Trail, ein reiner Berglauf, der über 16.8 Kilometer und 1.185 Steigungsmeter auf den Gipfel des 2.653 m hohen Weisshorns führt, dem höchst erschlossenen Punkt im Skigebiet Arosa-Lenzerheide mit seinen 225 Pistenkilometern.
Der Event kann mit einigen Kuriositäten aufwarten
Der Teilnehmerrekord wurde noch zu Walkingzeiten bei der 3. Edition im Jahre 2007 mit 2.111 Anmeldungen aufgestellt. Danach pendelte sich die Veranstaltung auf einen Schnitt von 1.200 – 1.500 Athleten aus rund einem Dutzend Ländern ein, die Zweitausendermarke wurde nie wieder gerissen.
Seit der Premiere waren die Frauen in der Überzahl, zumeist mit einem Anteil von mehr als 60%. 2014 gab es erstmals ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis und seit 2016, dem Premierenjahr des „10 Meilen-Weisshorn Snow Trails“, gibt es ein leichtes Übergewicht an männlichen Teilnehmern. Neben des Pandemie-bedingten Ausfalls im Jahre 2021 wurde nur einmal die komplette Veranstaltung aus Sicherheitsgründen abgesagt, das war 2012. Ansonsten gibt es für den Snow Trail eine Alternativstrecke bei ungünstigen Wetterbedingungen.
Skurril dabei ist, dass diese ebenfalls auf das Weisshorn führt, allerdings Direttissima auf einer relativ direkten Route von nur 13 Kilometern. Start und Ziel der restlichen Kategorien befinden sich in Arosa und führen maximal bis in eine Höhe von 2.127 Metern.
Neu in diesem Jahr wurde der „Weisshorn Speed“ lanciert, ein Direktaufstieg zum Gipfel über 11 km. Ebenfalls ein Kuriosum, da diese neue Kategorie das Resultat aus einer Panne vom Vorjahr ist. Durch eine offenbar unklar signalisierte Streckenanpassung lief damals genau die Hälfte der Teilnehmer anstelle der zehn Meilen nur zehn Kilometer. Die Organisation handhabte die Situation pragmatisch und ordnete diese kurzerhand in eine eigene Kategorie, dem „Weisshorn Speed Trail“. Für beide Strecken wurden Sieger und Siegerinnen separat gewertet und die „neu entdeckte“ Sprintstrecke als zusätzliches Streckenangebot in den 2023er Event aufgenommen.
Fünf Tage vor dem Start gab es jedoch einen Dämpfer! Alle Gipfelstürmer erhielten per Rundmail folgende Mitteilung des Organisationskomitees: „Lange wurde auf den Schnee gehofft. Jetzt ist er zwar da, aber zu spät. Die Präparation des Streckenabschnittes aufs Weisshorn ist selbst mit der bisher gefallenen Schneemenge nicht möglich“.
Alle Angemeldeten wurden automatisch auf den Halbmarathon umgebucht und erhielten zusätzlich einen Rabattgutschein über 10 Franken für eine Teilnahme im nächsten Jahr. Somit wurde erstmals in der 7-jährigen Historie nicht auf den Gipfel des Weisshorns gelaufen. Veranstaltungen zu dieser Jahreszeit und speziell im Hochgebirge sind naturgemäß immer von einer Vielzahl verschiedener Faktoren abhängig. Höchste Priorität hat und nicht verhandelbar ist immer die Sicherheit der Teilnehmer!
Wenn man, wie ich, aus der Ödnis der Frankfurter Rhein-Main-Tiefebene kommt, eine Region wo Winter praktisch nicht mehr stattfindet, ist die Ankunft in Arosa wie der Eintritt in ein Winter-Wunder-Märchenland!
Weiß gepuderte Bergzacken die in den tiefblauen Himmel greifen
Eiskalte, frische, saubere Luft, gefrorene Seen und unendliche Fernsicht – ein Traum! Wobei auch das Schweizer Unterland in diesem Jahr noch recht grün war. Erst auf der Fahrt mit der Rhätischen Bahn von Chur nach Arosa, eine spektakuläre, einstündige Tour, die auf 26 Kilometern 41 Brücken, 19 Tunnel, 12 Lawinenschutz-Galerien und 1.150 Höhenmeter aufbietet, tauchten tief verschneite Schneelandschaften auf. Dank des „Swiss Runners Ticket“, einer Zusammenarbeit der Schweizer Bundesbahnen mit Swiss Runners, ist seit dem 1.1.2017 bei 25 Laufveranstaltungen die An- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus der ganzen Schweiz im Startgeld inbegriffen. Für ausländische Gäste gilt dies ab dem ersten Schweizer Bahnhof oder Flughafen.
Erste Amtshandlung nach der Ankunft: Eisbaden! Eine Leidenschaft, die ich seit mittlerweile 4 Jahrzehnten pflege. Seit kurzem gibt es in Arosa den Eisbadeclub „Eisbadi“, der am Untersee ein ca. 3 x 5 m großes Loch unterhält. Hier treffe ich auf Andreas, der vor 22 Jahren aus Thüringen in die Schweiz ausgewandert ist. Er ist Mitglied im rund 70 Personen umfassenden Verein und schlägt gerade das über Nacht zugefrorene Areal frei, um es für diverse Baderituale zugänglich zu machen. Von 7 – 18 Uhr steht dieses der Öffentlichkeit frei zur Verfügung. Und in dieser Zeit herrscht auch reger Badebetrieb. Ich bin im siebten Eisbadehimmel (und hätte das mitgebrachte Beil zuhause lassen können) …
Stefan Schlett beim Eisbaden
Es ist genug Platz für alle da
Das Startgelände liegt neben dem Kongresszentrum am Obersee in 1.735 m Höhe, direkt gegenüber dem Bahnhof, wo sich auch die Talstation der Arosa Bergbahnen befindet. Normalerweise können hier die Teilnehmer am Weisshorn Snow Trail eine Tasche mit Wechselkleidung auf den Gipfel transportieren lassen. Aber der ist heute für die Teilnehmer tabu. Die Party startet mit dem wegen partiell unzureichender Schneemengen auf 19.6 km verkürzten Halbmarathon (plus/minus 665 m), kurz darauf folgen die Kategorien Long (12 km, 413 Höhenmeter) und Short (6 km, 190 Höhenmeter).
Dann sind alle 1.086 gemeldeten Snowtrailer, Walker und Schneeschuhläufer aus 10 Ländern auf den Schnee gedämpften Genusstrails unterwegs. Nachmittags findet dann noch der Kinderlauf über einen Kilometer rund um den Obersee statt.
Im leichten Schneetreiben geht es nach einer halben Seeumrundung hinein in den tief verschneiten Bergwald. Schon bald ist die Baumgrenze überschritten und an der Tschuggenhütte auf 1.990 m Höhe die erste Versorgungsstation erreicht. Hier hat gerade eine Musikgruppe ihren lautstarken Einsatz. Danach müssen ein paar Mal die Skipisten gekreuzt werden. Es sieht zunächst chaotisch aus, Skifahrer, Snowboarder und Läufer verteilen sich auf den bestens präparierten Pisten, an den Liften herrscht Hochbetrieb und die Streckenposten haben alle Hände voll zu tun.
Aber es ist genug Platz für alle da, die Begegnungen zeugen von friedlicher Koexistenz und gegenseitiger Rücksichtnahme – kein einziger Läufer wird „abgeschossen“. Kurz darauf zweigt die Halbmarathonstrecke nach links ab und verläuft in einer weiten Schleife mit Blick auf Arosa über die Carmennahütte, dem höchsten Punkt auf 2.127 Metern.
Mittlerweile hat die durchbrechende Sonne die Landschaft verzaubert. Düstere Schneewolken unten und sonnen beschienene Schneehänge weiter oben erzeugen dramaturgische Szenerien. Aus dem Schleier der Wolken taucht die Silhouette des Weisshorns auf.
Dort oben spielten sich in der Vergangenheit die eisigen Höhepunkte ab. Als nach kräftezehrender Tiefschneewühlerei auf steilen Rampen und teilweise im hüfthohen Schnee der Gipfel erreicht wurde und sich ein alpines Panoptikum offenbarte: Die Gipfel der Silvretta und Bernina in den zentralen Ostalpen, die Eisriesen der Berner Alpen im Westen und 2.000 Meter tiefer die Stadt Chur, Hauptort des Kantons Graubünden – alles auf einen Blick! Ein atemberaubendes Panorama, das dem Pulsschlag keine Ruhe gönnte! Und anschließend durften die Gipfelstürmer im Gipfelrestaurant mit 360 Grad-Panoramaverglasung noch das Sponsoren-Apéro genießen. Kommt bestimmt alles wieder beim nächsten Mal, sofern sich die Lauf- und Wettergötter einig sind.
Nach dem Kulminationspunkt Carmennahütte, der als Pendelstrecke angelegt ist, führt ein Panoramatrail durch Innerarosa wieder zur Verpflegungsstation Tschuggenhütte und über die Mittelstation der Weisshornbahn in die ruhig gelegene Passage durch den Arlenwald.
Von nun an geht´s bergab. Eine kälteresistente Guggenmusikgruppe läutet am letzten Versorgungsposten lautstark den finalen Streckenabschnitt ein und sogleich wird es im schattigen Bergwald oberhalb von Arosa wieder frostiger.
Benedikt Hoffmann, Sieger Herren beim Weisshorn Trail
Obwohl die Organisatoren weder Startgage noch Preisgeld zahlen, zieren prominente Namen die Siegerliste. Triumphator des (verkürzten) Halbmarathons wird der Deutsche Benedikt Hoffmann in einer Zeit von 1:20:08 Stunden. Zahlreiche erfolgreiche Einsätze für die deutsche Berglauf- und Ultralauf Nationalmannschaft zieren seine Vita. 2020 stellte er einen Laufbandweltrekord im Marathon auf. Sein letztjähriger und ebenfalls mit einem Erfolg gekrönter Premierenstart am „10 Meilen-Weisshorn Trail habe ihm sehr viel Freude bereitet, weshalb er sich entschieden habe, erneut nach Arosa zu reisen“.
„Beide Strecken sind attraktiv“, so Benedikt Hoffmann. „Jede hat einen eigenen Charakter. Beim Weisshorn Trail läuft man wegen des steilen Geländes auf den letzten 6 Kilometern ständig am Anschlag, beim Halbmarathon geht es immer mal wieder auf- oder abwärts, was Erholungsphasen ermöglicht“, erklärte der mehrfache Rekordhalter an verschiedenen renommierten Läufen.
Bei den Damen siegte die Schweizerin Judith Wyder aus Kehrsatz bei Bern nur 10 Minuten hinter Hoffmann und auf dem 6. Gesamtplatz in 1:30:04 Stunden. Die ehemalige Weltklasse-Orientierungsläuferin und jetzige Angehörige des Nationalkaders Trailrunning/Berglauf gewann bereits 2017 und 2019 den Weisshorn Trail.
Judith Wyder, Siegerin Damen beim Weisshorn Trail
Im Kongresssaal wird bei Kuchen und Pasta, begleitet von Livemusik, die After Snow Party gefeiert. Einstimmiger Tenor bei den Teilnehmern: Das Rennen ist zwar ein wenig verrückt, aber bietet neben der Abwechslung eine interessante Erfahrung und ein faszinierendes Erlebnis. Und es verlangt Respekt, sowie gewissenhafte Vorbereitungen auf die winterlichen Extrembedingungen im hochalpinen Gelände. Denn das Wetter kann auch anders: Minus 17 Grad und eisige Winde hatte es bei der Austragung im Jahre 2017.
Die nächste Snow Trail Party, zugleich das 20-Jahre-Jubiläum steigt am 20. Januar 2024.
Autor: Stefan Schlett
Fotos: Alphafoto.com, Swiss Snow Walk & Run, Stefan Schlett
Fakten
Beim Swiss Snow Walk & Run gibt es 7 Strecken:
- Kids Oberseelauf > Kinderlauf über einen Kilometer rund um den Obersee
- Short Distance > 6.1 km, +- 190 m
- Long Distance > 12 km, +- 413 m
- Weisshorn Speed > 11 km, +1031 m, -119 m
- Weisshorn Alternativstrecke > 13 km, +1105 m, -192 m
- 10 Meilen-Weisshorn Trail > 16.8 km, +1185 m, -273 m
- Halbmarathon > 21.1 km, +- 694 m
Willkommen beim Swiss Snow Walk & Run Arosa sind nicht nur Läuferinnen und Läufer, sondern auch Walker, Nordic-Walker und Schneeschuhläufer. Im Startgeld enthalten ist die kostenlose Hin- und Rückfahrt mit dem öffentlichen Verkehr ab Wohnort bzw. Schweizer Grenze. In den Anlass integriert ist das alljährliche Gesundheits- und Fitnessforum mit verschiedenen Referenten, zu dem alle angemeldeten Teilnehmer kostenlosen Zugang haben.
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