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Seiser Alm Halbmarathon – das Laufabenteuer auf Europas größter Hochalm
Dieser Lauf ist wie Doping für die Augen
Ich habe am Tag vor dem Seiser Alm Halbmarathon beim Villnöss Dolomiten Run schon einige Höhenmeter gesammelt und komme am Morgen nur mühsam die Treppe runter. Aber auf Europas größter Hochalm zu laufen, umgeben von den atemberaubenden Dolomiten, mit ständig wechselnden Eindrücken samt Blütenmeer und Wäldchen lässt alle Anstrengung schnell vergessen. Ich kann während des Rennens nur staunen. Ein geniales Naturerlebnis, das seinesgleichen sucht.
Die Seiser Alm – ein einzigartiges Hochplateau
Umgeben von den Dolomiten liegt ein ganz besonderes Fleckchen Erde für alle Natur-Liebhaber: Die Seiser Alm. Auf über 56 Quadratkilometern erstreckt sie sich in Südtirol auf einer Höhe zwischen 1.800 und 2.300 Metern. Sie soll so viele Almen wie das Jahr Tage haben, nämlich 365 an der Zahl. Mit ihren Bergen, Almen, Hütten und Schwaigen zieht sie im Winter als Ski-Paradies viele Wintersportler in ihren Bann, im Sommer lieben Mountainbiker, Läufer und Wanderer die reizvolle und abwechslungsreiche Landschaft. Im Sommer verwandeln sich viele Weiden und Wiesen in ein buntes Blütenmeer.
Der Seiser Alm Halbmarathon
Der diesjährige Seiser Alm Halbmarathon fand am 4. Juli 2021 statt. Das Event gibt es nun seit neun Jahren und die Zahl der „Wiederholungstäter“ liegt bei ca. 60%. Viele Teilnehmer kommen seit vielen Jahren immer wieder nach Südtirol, um im Sommer über die Seiser Alm zu laufen, aber auch wegen des herzlichen Miteinanders und der professionellen Organisation. Wegen Corona waren diesmal rund 450 Teilnehmer am Start, aber die haben jeden Kilometer genossen.
Kurzer Überblick des Seiser Alm Halbmarathons
- Streckenlänge: 21,097 Kilometer
- Start bei 1.800m
- 601 Höhenmeter (der höchste Punkt liegt bei 2.050m)
- Startzeit: 9.30 Uhr
- Start und Ziel: Compatsch
- Die Laufstrecke ist eingebettet in das UNESCO Welterbe der Dolomiten
- Naturerlebnis und sportliche Herausforderung für Freizeitsportler und Profis
Auch die „härteste Frau Deutschland“ läuft mit
Ich treffe die sympathische Extremläuferin Ulrike Mayer-Tancic aus München kurz vorm Start mit ihrem Mann. Sie ist mal von einer TV-Sendung als „härteste Frau Deutschlands“ betitelt worden – nachdem sie gegen fünf Männer durch Afrikas Wildnis gelaufen war und nur Joey Kelly am Ende stärker war.
Damals ist sie 300 Kilometer durch die Wildnis Afrikas gerannt, hat Insekten und Würmer gegessen und ist seitdem „verloren“: „Wenn du einmal so durch die Natur gelaufen bist, willst du nie wieder zurück auf die Straße!“ Ulrike liebt die Berge, die Abwechslung beim Trailrunning, das herzliche Miteinander. Und sie ist eine überzeugte Wiederholungstäterin: „Ich starte heute schon zum 5ten oder 6ten Mal hier auf der Seiser Alm.
Und es ist mein erster Wettkampf nach einer Verletzung und nach Corona!“ Ulrike ist dementsprechend aufgeregt aufgewacht. Wettkampffieber ist doch was Herrliches. Diese drahtige, fröhliche Frau ist 56 Jahre alt und sieht so aus, als hätte sie ihr Leben lang nie was anderes gemacht. Doch weit gefehlt: „Ich habe geraucht wie ein Schlot und erst mit 35 Jahren mit dem Laufen angefangen!“
Der Grund, warum sie – wie viele andere – Jahr für Jahr wieder zum Seiser Alm Halbmarathon kommen ist denkbar einfach: „Die Organisation ist super und total liebevoll, die Landschaft ist irre – unschlagbar schön!“ Ihr Mann Helmut, der seit 20 Jahren an ihrer Seite ist, sagt über Südtirol: „Das ist der Fleck auf der Erde, wo Gott das Füllhorn ausgeschüttet hat!“ Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Denn ob man Wein, Obst oder Natur sucht – man findet sie in unglaublicher Fülle und Qualität.
Urige Persönlichkeiten und herzliches Miteinander
Rosi, die auf ihr 70tes Lebensjahr zugeht, wollte auch mitlaufen, aber hat sich bei einem Radunfall das Sitzbein gebrochen und begnügt sich heute damit, die Wettkampfrichterin zu sein. Die kleine pfiffige Frau ist schon über 100 Marathons gelaufen, wahrscheinlich alles, was es in Italien so zu laufen gibt!“ scherzt sie.
Sie kann zu vielen der Teilnehmer Geschichten erzählen, so manchen hat sie als kleinen Buben zum Laufen gebracht. Sie erzählt mir, wer alles heute antreten wird. Der Seiser Alm Halbmarathon ist wie ein großes Familientreffen. Aber eines, wo man sich auf seine „Trail-Verwandten“ so richtig freut.
Der Start
Als wir am Morgen vor dem Start unsere Unterlagen holen, bekommen wir nicht nur Startnummer und Klammern, sondern auch Südtiroler Äpfel, ein Erinnerungs-Laufshirt und andere Präsente. Die Teilnehmer trudeln ein, trinken noch etwas Wasser, unterhalten sich und viele stellen sich vor den Startbogen, um Fotos zu machen.
Man bekommt nicht oft im Leben solch ein faszinierendes Panorama schon im Startbereich geboten. Der Startbogen wirkt wie ein Bilderrahmen für die dahinter aufragenden Dolomitenzacken. Die Vorfreude steigt. Wir starten in Etappen und tragen Masken, die wir aber bald nach dem Start ablegen und einstecken dürfen.
Die Strecke
Die ersten 3 Kilometer sind asphaltiert. Der Rest der Strecke verläuft auf Forststraßen, schmaleren Wanderwegen und Trails.
Zunächst geht es recht lange bergauf, wir laufen nach wenigen Kilometern über einen Pfad die Wiesen hinauf, dann geht es über Forstwege durch einen Wald. Ich weiß noch nicht recht, wie ich meine Muskeln nach der Erschöpfung durch den gestrigen Lauf dazu bringen kann, fröhlich ihre Arbeit zu tun, aber die Abwechslung und märchenhaften Aussichten wirken nach einigen Kilometern buchstäblich wie Doping für die Augen. Wir treffen auf allerlei Tiere, die entweder eingezäunt oder frei im Grünen ihre Zeit verbringen wie Wildpferde und Kühe.
Die Verpflegungsstellen mit Wasser, isotonischen Getränken, Bananen usw. befinden sich etwa alle 5 Kilometer. Die Strecke ist mit Richtungspfeilen und Schildern sehr übersichtlich markiert und die Kilometeranzahl auch regelmäßig angezeigt. Streckenposten sind an den wichtigsten Stellen positioniert.
Eigentlich müsste man ständig anhalten, um Fotos zu machen – und das tue ich auch. Vielen meiner Mitstreiter geht es ähnlich: „Es ist traumhaft hier, ich hab auch schon gefühlt 200 Bilder gemacht!“, ruft mir ein Läufer aus Deutschland zu, während ich mal wieder einem Eindruck festhalten will. Wir laufen über einen kleinen Steg, der von Wildblumen-Wiesen umgeben ist, und unweit steht ein Kutscher mit seinen Pferden auf der Wiese und sieht uns zu.
Die Frau im Dirndl
Als wir um eine Kurve laufen, stehen einige Zuschauer am Wegesrand und feuern uns an – ein paar Meter weiter klatscht Südtirols Gastgeberin des Jahres Helga Rauch von der Rauchhütte und motiviert uns. Sie trägt eine Art Dirndl und ist so fröhlich und sympathisch, dass ich kurz anhalte und mich kurz mit ihr unterhalte. Helga ist selbst begeisterte Marathonläuferin (Bestzeit 2:53h). Dann setze ich meinen Lauf fort.
Es wird nie langweilig, wir laufen an einer Herde Kühe vorbei über eine Wiese und dann führt uns ein kleiner Trail über eine Brücke in den Wald hinauf, da geht es ordentlich bergauf, das Herz pocht, die Lunge pumpt, der Schatten der Bäume tut gut. Und wir werden auf einen Forstweg geführt, der sich weiter durch den Wald schlängelt. Immer wieder erhaschen wir durch die Bäume den Blick auf die Berge.
Ich liebe die Luft hier, die Stille und die freundlichen Menschen. Ein paar Wanderer feuern uns an, Einheimische nicken fröhlich zu. Ich genieße einfach nur, denn das ist der Seiser Alm Halbmarathon: ein Lauf zum Austoben, Genießen und Auftanken. Vor allem die zweite Hälfte des Laufs ist einfach unbeschreiblich schön. Wir laufen auf Stegen und Wegen durch ein Blütenmeer, vor uns die Berge von kleinen Wölkchen umgeben.
Währen der letzten fünf Kilometer kann ich eine Art Beziehungs-Beobachtung machen – ich bin genau zwischen ein italienisches und ein französisch sprechendes Pärchen geraten und finde es sehr amüsant, wie die beiden Paare die Herausforderung meistern. Die einen still und immer auf gleicher Höhe, das andere Paar aus Italien ist ein wenig wechselhafter, mal rennt sie vor und er hinterher, dann überholt er und sie eilt ihm nach, sie schimpfen, lachen und er macht wie ich immer wieder Fotos von der Landschaft.
Der einzige Moment, wo wir in ein kleines Motivationsloch fallen, ist der „Turning-Point“, wo man kurzzeitig den schnelleren Läufern entgegenrennt, um dann bei der Verpflegungsstelle einen U-Turn zu machen. Doch dann geht es nur noch runter und bald dem Ziel entgegen, das man von hier oben gut sehen und bald auch hören kann.
Überraschungen
Im Ziel werden alle Finisher herzlichst empfangen und wir bekommen nochmal eine Tüte voller Südtiroler Leckereien sowie eine schöne Holzmedaille als Erinnerung. Ich finde meinen Mann, der im Gegensatz zu gestern vor mir ins Ziel gekommen ist und wir setzen uns mit unseren prallgefüllten Papiertüten auf die Wiese und machen ein kleines Picknick. Später sitzen wir in einer Almhütte, essen Bandnudeln aus Schüttelbrot mit Hirschgulasch und freuen uns über einen perfekten Tag. Als wir zurück ins Hotel kommen fängt es an zu regnen. Besser hätte es wirklich nicht laufen können.
Fazit:
Auf dem Hochplateau der Seiser Alm vor der majestätischen Kulisse der Dolomiten zu laufen, sollte jeder Trail-Läufer mindestens einmal erleben – man wird für jede Anstrengung mit einem unfassbar schönen Panorama belohnt. Die Organisation ist sehr professionell, die Stimmung unter den Läufern herzlich. Kein Wunder, dass die meisten Teilnehmer Wiederholungstäter sind. Der Lauf macht Lust auf mehr.
Tipp: Entspannen im ICARO Hotel, auf fast 2000 Metern Höhe, eine bessere Aussicht gibt es nicht, das Essen ist fantastisch und die gesamte Anlage wurde frisch renoviert. Vor allem das kleine Außenbecken im Schwimmbad ist traumhaft schön – mit Blick auf die Berge kann man hier die Seele baumeln und die Muskeln zur Ruhe kommen lassen.
>>>Hier geht’s zum Rennbericht des Villnöss Dolomiten Run 2021 oder zurück zum Südtirol Special.